Öffentliches Telefonieren:Die große Zellenteilung

Lesezeit: 2 min

Früher wurde das ein oder andere Herzschmerz-Telefonat in der Einsamkeit einer roten Box geführt. Dieses Exemplar auf den Orkney-Inseln beherbergt heute einen Defibrillator. (Foto: British Telecom/picture alliance/dpa/PA Media)

In Großbritannien kann man ausrangierte Telefonboxen für eigene Zwecke "adoptieren". Aber was ist eigentlich aus den guten, alten, gelben Telefonhäuschen der Bundespost geworden?

Von Martin Zips

"Fasse Dich kurz!", war einst in Telefonzellen zu lesen. Und natürlich hielt man sich dran. Was war das für ein wundervoll intimer Ort und doch ganz zentral gelegen, vor dem Bahnhof beispielsweise oder mitten am Dorfplatz. Hier konnte man es endlich führen, das Gespräch, dessen Inhalt wirklich niemanden etwas anging. Natürlich gab es auch damals schon Leute, die völlig sinnlos vor sich herplapperten, laut und lang. Als Kind machte man lieber einen großen Bogen um sie. Doch später genoss man, umhüllt von interessanten Gerüchen und nach dem geglückten Einwurf einer am Gerät durch Reibung gefügig gemachten Münze, zum Beispiel die Möglichkeit, einem anderen Menschen über große Distanz hinweg seine Liebe zu gestehen. Oder die bevorstehende Zündung einer Bombe bekannt zu geben.

Während die gelben deutschen Telefonzellen den Charme tiefseetauglicher Einzelbunker versprühten, bewiesen die Briten mit ihren roten Boxen raumplanerischen Stil. Entworfen wurden sie vor knapp hundert Jahren von Architekt Sir Giles Gilbert Scott, inspirieren ließ er sich von der Grabstätte seines Vorbildes John Soane, Architekt der Bank of England. Am Anfang mochten die Briten die roten Häuschen nicht. Aber die Gewohnheit macht's. Mittlerweile vermissen sie sie sogar.

Heute gibt es höchstens noch ungemütliche Telefonsäulen

Bereits 6600 ausrangierte britische Telefonzellen wurden von Gemeinden oder Organisationen im Königreich für einen symbolischen Preis "adoptiert", berichtet jetzt die British Telecom. Dieser Tage nun kommen 4000 weitere hinzu. Statt Fernsprechern dürften sich in ihnen bald zum Beispiel Defibrillatoren, Bücher oder Kunstobjekte finden.

In Deutschland waren vor 20 Jahren noch 170 000 Telefonzellen in Betrieb. Heute sollen es rund 15 000 sein. Die letzten öffentlichen Apparate finden sich meist auf sogenannten Stehsäulen, sehr ungemütlich. Wenn die weniger als 50 Euro Umsatz im Monat einbringen, werden sie abgebaut.

Der zentrale deutsche Telefonzellen-Friedhof liegt in Michendorf südlich von Potsdam, hier ein Archivbild. Das gelbe Modell TelH78 ist mittlerweile quasi vergriffen. (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Und so landen Boxen und Säulen nach und nach in Michendorf, südlich von Potsdam. Auf dem zentralen deutschen Telefonzellen-Friedhof warten sie auf ihre Entsorgung. Oder auf neue Besitzer. Am Ende einer Sackgasse, dort, wo einst eine geheime Abhöranlage der DDR zu finden war, stehen Tausende Telefonzellen auf einem Feld. Das gelbe Modell TelH78 ist quasi vergriffen, für ein paar Hundert Euro gibt es allerdings die noch viel hässlichere graue Zelle aus den Achtzigern. 330 Kilogramm, ein-mal-ein-mal-zwei-Meter-fünfzig groß. Dampfstrahlgereinigt! Und manchmal sogar mit Aufkleber: "Smsfähiges Telefon" oder: "Fasse Dich kurz!". Auch ein handgeritztes "Fick Dich!" könnte für den Käufer jederzeit drin sein.

Heutige Menschen machen aus den Zellen übrigens gerne Duschkabinen, Gartenhäuschen oder Mini-Bars. Manchmal legen sie auch Bücher zum Ausleihen rein. Zum Beispiel in Michendorf. Allerdings haben sie sich dort im Ort lieber eine Box aus Großbritannien an die Straße gestellt. Weil die halt schöner ist. Jetzt kann man hier etwas von Charles Bukowski ausleihen. Oder von Helene Hegemann.

Eine Bitte noch: Stellt sie nicht völlig zu, die alten Boxen! Der Mensch sollte in ihnen weiter genügend Platz zum entspannten Verweilen finden. Alte Telefonzellen können nämlich ein wunderbarer Rückzugsort sein. Auf der Flucht vor denen, die draußen stets laut und lange quatschen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Telekommunikation
:Fasse dich kurz

Seit dem Ende der Bundespost sind die alten Fernmeldeämter und Telefonzellen verschwunden. Heute regiert das Smartphone - und mit ihm Konzerne wie Facebook.

Von Christian Mayer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: