Tattoos:Unter die Haut

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Der gesellschaftliche Wandel ist bei der Polizei angekommen: Weil Personal fehlt, streichen die Behörden die Mindestgröße für Beamte und lassen sichtbarere Tätowierungen zu - ein Bundesland aber wehrt sich.

Von Martin Zips

Deutsche Polizisten könnten es bald leichter haben als ihre Kollegen in Chicago. In Chicago wurden alle Ordnungshüter kürzlich vom Police Department angewiesen, ihre sichtbaren Tätowierungen "mit Klebeband im passenden Hautton" abzudecken. Alles andere untergrabe die "Uniformität und Professionalität" der gemeinsamen Arbeit, hieß es. Bei der deutschen Bundespolizei hingegen werden derzeit "unter Beteiligung aller fachlich betroffener Bereiche" Vorschläge geprüft, gemäß denen zumindest kleine Tätowierungen unter der Kleidung hervorlugen dürfen.

Es gehe darum, die Einstellungspraxis "unter dem Blickwinkel eines möglichen gesellschaftlichen Wandels" zu überprüfen, erklärt ein Sprecher im Behördendeutsch. 3000 neue Stellen müssen in den kommenden drei Jahren besetzt werden - die Gründe dafür liegen nahe. Doch Bewerber stehen nicht gerade Schlange; bei der Bundespolizei muss man in Sachen Wohn- und Einsatzort sehr flexibel sein. Also werden Anreize geschaffen: Zum Beispiel wurde gerade die Mindestgröße von 165 Zentimetern (Männer) für den Jahrgang 2016 gestrichen. In Sachen Haarwuchs und Piercing gibt man sich schon seit längerer Zeit tolerant. Nun könnte sogar der Blick auf Tätowierungen freigegeben werden, natürlich nicht auf "diskriminierende, gewaltverherrlichende oder sonstige gesetzlich verbotene" Motive.

Die Zeiten, da die Bundespolizei das Zeigen von Hautmalereien allein beim Dienstsport (nicht aber unter "kurzärmeligen Sommerhemden" im Einsatz) erlaubte, sie könnten bald vorbei sein. Ein Sprecher betont, dass der "Ausdruck jedweder Individualität" bei Bundespolizisten generell erlaubt sei. Natürlich nur, solange "das äußere Erscheinungsbild nicht die Akzeptanz polizeilicher Gewalt beeinträchtigt". Besonders strikt ist da die bayerische Landespolizei. Dort sieht es auch weiterhin schlecht für Bilder auf der Haut aus: "Wir haben sogar ein Problem mit NICHT sichtbaren Tätowierungen", erklärt ein Sprecher des Münchner Innenministeriums auf Anfrage. "Das passt nicht in unser Profil." Angelina Jolie, Sarah Connor, Tommy Lee oder Otto, der tätowierte Schulbusfahrer der "Simpsons", hätten es als Polizeianwärter in Bayern also schwer.

Klar, Tätowierungen und die öffentliche Ordnung - das geht schon schwer zusammen. Ob bei den Skythen, den Pikten oder in der Pasyryk-Kultur, stets symbolisierten Tattoos die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Und heutzutage wird ja gestochen, was das Zeug hält. Mit einer Freude, von der schon Fjodor Iwanowitsch Tolstoi nach seiner Rückkehr von den Ureinwohnern Ostpolynesiens berichtete. Interessant: Mal gibt Body-Art Aufschluss über den (womöglich nur gewünschten) sozialen Rang des Trägers, mal über dessen sexuelle oder ästhetische Vorlieben. Meist aber ist es nur sinnlose Kritzelei.

Inwieweit Individualität und Staatsräson miteinander vereinbar sind, das jedenfalls dürfte für die bundespolizeilichen Dienststellen künftig ungeheuer schwer zu entscheiden sein. Aber gut, notfalls gibt es ja dieses hautfarbene Klebeband aus Chicago.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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