Süddeutsche Zeitung

Schifffahrt:Eingeklemmt im Suezkanal

Die "Ever Given" wollte von China nach Rotterdam, liegt nun aber im Suezkanal quer. Der Schiffsverkehr staut sich, der Ölpreis steigt - die Netzgemeinde feiert jedoch einen Baggerfahrer, der den Frachter freizuschaufeln versucht.

Von Moritz Baumstieger

Wer schon einmal in einer ägyptischen Stadt wie Kairo, Alexandria oder auch Suez mit seinem Auto in eine Parklücke eingewinkt wurde, der weiß: In Ägypten sind Längenmaße manchmal relativ. Wenn ein selbsternannter Parkwächter ein bisschen was verdienen will, dann passt ein Wagen jeder Größe in jede noch so kleine Lücke. Und kommt auch wieder heraus, bis auf ein paar kleine Kratzer unbeschädigt.

Der erste Teil dieser Information wird den Kapitän des Containerschiffs Ever Given kaum interessieren, er wollte ja alles andere, als seinen gigantischen Frachter stillzulegen. Er wollte mit ihm aus China kommend durch den Suezkanal schippern, Zielhafen Rotterdam, geplante Ankunft bisher laut Trackingseiten wie vesselfinder.com am 31. März. Daraus wird wohl nichts werden: Nun liegt der 200 000 Tonnen-Frachter kurz hinter Suez quer. Berichte von einem Stromausfall an Bord, der auch die Steuerung betraf, dementierte ein Sprecher der Rederei Evergreen zunächst.

Er machte starke Winde für den Unfall verantwortlich, der Ever Given scheinen diese häufiger Probleme zu bereiten: 2019 geriet sie auf der Elbe aus der Fahrrinne und quetschte das Fährschiff Finkenwerder an der Anlegestelle Hamburg-Blankenese ein -Totalschaden. Was auch immer dieses Mal die Ursache war: Seit Dienstagvormittag ist die 400 Meter lange Ever Given so zwischen den beiden Ufern des Kanals eingeklemmt, als hätte da jemand mit Hilfe ägyptischer Parkwächter sein Fahrzeug abgestellt.

Das missglückte Manöver hatte schnell große Folgen: Durch den 200 Kilometer langen Suezkanal, der das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbindet, laufen fast zehn Prozent des Welthandels. Etwa 19 000 Schiffe durchqueren den 2015 nochmals erweiterten Kanal, der den Weg zwischen Asien und Europa erheblich verkürzt, also mehr als 50 am Tag. So kam es, dass nun auch in der Wasserstraße ein Zustand herrscht, den ägyptische Autofahrer nur zu gut kennen: Stau.

Und der hat wirtschaftliche Folgen: Weil unter den festsitzenden Schiffen auch Tanker mit Rohöl sind, das durch das Nadelöhr Suezkanal transportiert wird, reagierte selbst der Ölpreis auf die Verzögerungen, die nun bei einigen Lieferungen zu erwarten sind. Ein Barrel (159 Liter) Nordseeöl der Sorte Brent kostete am Dienstagmorgen 61,63 US-Dollar, 84 US-Cent mehr als am Vortag. Der Preis für amerikanisches Rohöl der Marke West Texas Intermediate (WTI) stieg um 62 Cent auf 58,38 Dollar.

Vorfall sorgt für Spott im Internet

Neben dem Schaden sorgte der Vorfall natürlich auch für Spott, nachdem ein Foto des blockierten Kanals viral ging, geschossen von einer US-amerikanischen Schiffsingenieurin, die nun auf dem direkt nachfolgenden Schiff festsitzt. Internetnutzer sahen in der querliegenden Ever Given ein Symbolbild für wirklich effektive Lockdown-Maßnahmen, andere wünschten ihrem Fußballverein eine Abwehr, die ebenso gut dichtmacht wie das 2018 gebaute Schiff.

Einige Seefahrer älteren Semesters, die vielleicht nicht unbedingt in den sozialen Medien unterwegs sind, könnten die festsitzende Ingenieurin hingegen mit etwas Seemannsgarn aus der Geschichte aufmuntern: Nachdem der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser den Suezkanal während des Sechstagekriegs 1967 blockierte, saßen einige Schiffe wie das deutsche Frachtschiff Münsterland dort ebenfalls fest - und zwar ganze acht Jahre.

So lange wird die unfreiwillige Pause der Ever Given wohl nicht dauern, daran haben schon allein die ägyptischen Behörden Interesse, die für jede Passage etwa 250 000 Dollar kassieren, insgesamt steuert der Kanal jedes Jahr so mehrere Milliarden zum ägyptischen Etat bei. Seit Dienstag versuchen deshalb mehrere Schlepper, den Tanker wieder flottzubekommen, am Mittwoch kündigte die Suezkanal-Behörde an, den Verkehr zunächst über eine ältere, stillgelegte Wasserrinne umzuleiten.

Den Internetnutzern haben es jedoch vor allem die Bemühungen eines unverdrossenen Baggerführers angetan: Im Vergleich zu dem gigantischen Schiff nimmt sich seine Maschine zwar eher wie eine Ameise aus, doch er schaufelt unermüdlich, um den Frachter freizubekommen. Und er wird es schaffen, da ist sich jeder sicher, der schon mal in Ägypten ein Fahrzeug bewegt hat. Wer dort entgegen aller Wahrscheinlichkeit in eine Lücke hineingekommen ist, der kommt mit ein paar kleinen Kratzern auch wieder hinaus.

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