50 Jahre Talkshow:D' Leut' schwätze halt gern

50 Jahre Talkshow: Der Moderator Dietmar Schönherr mit Romy Schneider während der Talkshow "Je später der Abend" im Jahr 1974.

Der Moderator Dietmar Schönherr mit Romy Schneider während der Talkshow "Je später der Abend" im Jahr 1974.

(Foto: Horst Ossinger/dpa)

Der ganze Wahnsinn begann 1973 mit "Je später der Abend": Zum Jubiläum des Formats Talkshow im deutschen Fernsehen.

Von Martin Zips

Im Grunde ist es wie beim Familienkaffee bei Tante Anni: Menschen kommen zusammen, jeder mit seiner Eigenart. Der eine hat Philosophie studiert, die andere hat sich gerade die Falten wegspritzen lassen, einer redet immer nur von früher, und die andere möchte die Welt retten, notfalls mit Gewalt.

Im Fernsehen heißt das Konzept "Talkshow", und die erste dieser Art wurde vor genau 50 Jahren ausgestrahlt. "Je später der Abend" hieß die Sendung - der Titel stammt von Werner Höfer, der schon 1953 mit dem "Internationalen Frühschoppen" in den deutschen Wohnzimmern zu Gast war. Der Frühschoppen war auch so eine Art Talkshow, man sprach allerdings lieber von "Diskussionsrunde". Das passte besser zur Atmosphäre im beigen Studio, wo neben arrivierten männlichen Meinungsmachern mit problematischer Vergangenheit auch eine umherwuselnde Frau mit einer Weinflasche in der Hand und allerlei Rauchwaren eine wichtige Rolle spielten.

Dann also "Je später der Abend" mit dem österreichischen Schauspieler Dietmar Schönherr als Moderator. Den Zuschauern des Westdeutschen Fernsehens erklärte Schönherr in der ersten Sendung, es handele sich hier um eine "Rederei", was unter deutschen Schiffsbesitzern zunächst Irritationen auslöste. Bald aber war jedem klar: Talkshows, das ist so wie Kaffeetrinken bei Tante Anni, nur halt im Fernsehen. Und im Gegensatz zur Familienfeier musste man nicht selber reden. Das war ganz angenehm.

Das Konzept hatte sich bereits im englischsprachigen Raum als billige Programmfüllung bewährt, nun wurde es auch hierzulande populär. Es war schön, dabei zu sein, wenn Romy Schneider den Ex-Kriminellen Burkhard Driest mit Komplimenten überschüttete oder die Skandalnudel Klaus Kinski einen nervigen Zwischenrufer aus dem Studio werfen lassen wollte.

Zwar wurde "Je später der Abend" bereits nach fünf Jahren, 1978, wieder eingestellt, es folgten aber würdige Nachfolger: In "3 nach 9" spritzte Apo-Mann Fritz Teufel Spaßtinte aus einer Wasserpistole auf Finanzminister Hans Matthöfer. Matthöfer schüttete Rotwein auf Teufel. Sternstunden des deutschen Fernsehens!

Von den 80ern an wurde hier so ziemlich alles öffentlich verhandelt

Das Privatfernsehen führte dann leider zu einer Explosion solcher Formate, die man statt Rederei irgendwann besser Quasselrunden nannte. Von den 80ern an wurde hier so ziemlich alles öffentlich verhandelt, von der Hämorrhoide bis zum Seitensprung. Vieles davon wollte man gar nicht wissen.

In anderen Sendungen wurde Politik gemacht: Aufstrebende Volksvertreter, die ihren Sonntagabend nicht regelmäßig im Studio von Sabine Christiansen verbrachten, waren bald geliefert. Irgendwann hieß Sabine Christiansen dann Maybrit Will oder Anne Lanz und Talkshow hieß Podcast und dauerte manchmal sechs Stunden, aber das Prinzip blieb immer gleich. Groß war die Freude der Zuschauerinnen und Zuschauer, wenn mal was Außergewöhnliches passierte. Es mussten ja keine Masturbationstipps sein, wie sie Nina Hagen im österreichischen "Club 2" unaufgefordert demonstrierte.

In Deutschland ging es bei "Explosiv - Der heiße Stuhl" schweißtreibend zu, zum Beispiel, wenn Rosa von Praunheim Intimes von Menschen preisgab, die er vorher gar nicht um Erlaubnis gefragt hatte. Unterhaltsam war es vor allem dann, wenn das Niveau nicht ganz so niedrig war wie in den schlechten Stunden von "Dall-As", "So isses", "Roche & Böhmermann" oder dem erst kürzlich implodierten "Chez Krömer" ("Mein Bedarf an Arschlöchern ist damit gedeckt", verabschiedete sich der Moderator). Gelegentlich meinte man bei all der Laberei sogar, einer prominenten Person etwas näher gekommen zu sein. Im Jahr 1996 zum Beispiel, als die damalige Kanzlergattin Hannelore Kohl bei "Boulevard Bio" zu Gast war.

Und manches stach dann schon heraus, zum Beispiel die ambitionierten Fragerunden mit Christoph Schlingensief oder Roger Willemsen. Auch "Zimmer frei!", eine WDR-Talkshow mit Spielelementen, in der Götz Alsmann und Christine Westermann von 1996 bis 2016 einen Prominenten auf seine WG-Tauglichkeit hin prüften (ein TV-Journalist fiel hier leider durch, weil er plötzlich wütend einen Fernseher ins Wasserbecken warf).

Auch die Idee, Menschen in solchen Runden über Bücher debattieren zu lassen, ist und bleibt wunderbar. Wie herrlich man sich da streiten kann! Viel spannender, als immer nur Karl Lauterbach und Gerhart Baum am Wasserglas nippen zu sehen. Warum aber kettet sich - wie 1998 in "Talk im Turm" - niemand mehr am Stuhl des Moderators fest? Auch Ankleben ginge völlig in Ordnung.

"Dinge dauern eben 'ne Weile. Als Katholik denke ich da eher so in Tausender-Bereichen."

Heute, wo eher Videoschnipsel geteilt werden, dürfte es kaum noch Menschen unter 30 geben, die sich am Freitagabend die Mühe machen, zwei Stunden lang Giovanni di Lorenzo und Judith Rakers in "3 nach 9" auszuhalten, bis endlich Franca Lehfeldt vielleicht doch noch was Privates über Christian Lindner preisgibt. Zur selben Zeit läuft manchmal übrigens Michael Steinbrechers "Nachtcafé". Auch dort muss man viel Geschwätz ertragen, bis endlich vielleicht Harald Schmidt Sätze sagen darf wie "Dinge dauern eben 'ne Weile. Als Katholik denke ich da eher so in Tausender-Bereichen". Übrigens läuft gleichzeitig meist auch noch "Riverboat" und "Kölner Treff". Da fragt man sich dann schon, ob das nicht vielleicht ein bisschen viel auf einmal ist.

Keinen Verlust stellt der Verzicht des Privatfernsehens auf Formate wie "Britt - Der Talk" oder "Vera am Mittag" dar, wo von skrupellosen Produktionsfirmen viel zu oft Menschen vor die Kameras gezerrt wurden, die danach hilflos dem Spot der Massen ausgeliefert waren.

Der Tante-Anni-Ansatz jedenfalls funktioniert anscheinend immer noch, auch als Sport-Fasel-Runde oder Küchen-Quatscherei, denn: "D' Leut' schwätze halt gern", wie Bundespräsident Theodor Heuss einmal gesagt haben soll. Und nichts ist da wohltuender, als manchmal einfach auf den Ausschaltknopf zu drücken.

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