Tabacchi in Italien:72.000.000 Euro - das große Los

Ohne Tabacchi läuft in Italien nichts. Einer der kleinen Läden in Neapel ist nun berühmt - weil zwei Lottospieler hier irrsinnig viel Geld gewannen.

Andrea Bachstein

"Keine Gewinnprovision für die Annahmestelle!! Dass das klar ist für al- le...!", steht auf dem handgeschriebenen Schild. Es klebt am offenen Flügel der Sicherheitstür eines kleinen Tabak- und Lottoladens in Neapel. Er ist vorübergehend bekannt geworden in Italien. Warum, steht auf einem anderen Schild: "Silvester mit dem Knaller - 72000000,00 Euro im Superenalotto gewonnen - beide in unserer Annahmestelle gespielt".

Rekord-Jackpot in Italien geknackt

Zwei Glückspilze haben in Italien in der vorletzten Ziehung des Jahres je 36 Millionen Euro im staatlichen Lotto gewonnen.

(Foto: dpa)

Zwei Glückspilze haben hier in der vorletzten Ziehung des Jahres je 36 Millionen Euro im staatlichen Lotto gewonnen. Das ist nicht unbemerkt geblieben. Nunzia di Lorenzo, die mit ihrem Mann die Lottoannahmestelle betreibt, sagt, es sei schon sehr viel Rummel gewesen, all die Reporter, die Kameras, Neugierige. Für den Umsatz war es nicht schlecht. Am Tag danach sind viel mehr Leute als sonst gekommen, die hofften, auch sie würden hier ihr Glück machen. Wer die Gewinner sind, ist unbekannt. Aber für die Nachbarschaft am Corso Vittorio Emanuele war es ein kurzweiliges Ereignis. Nunzia di Lorenzo hat abends Spumante aufgemacht, die Leute haben ein bisschen gefeiert. Ein paar von ihnen waren im Fernsehen, um zu sagen, dass sie nicht wissen, wer die neuen Multimillionäre sind. Hauptsache, es seien Menschen, die es verdient haben.

Zwei Tage danach herrscht in dem Lädchen schon wieder Normalbetrieb. Es ist eine der mehr als 50000 Tabaccherie, meist einfach Tabacchi genannt, ohne die der Alltag in Italien undenkbar wäre. Die Geschäfte, deren blauweiße Schilder mit dem großen T auf die staatliche Tabakverkaufslizenz hinweisen, sind in der Regel viel mehr als Zigarettenhändler und Lottostellen. Ziemlich sicher würde das öffentliche Leben ohne sie zusammenbrechen. Das liegt weniger an ihrem Warensortiment. Das kann von Süßigkeiten über Schreibwaren, Zeitungen, Spielzeug, Geschenkartikeln, Souvenirs oder Strandzubehör auf die jeweilige Lage zugeschnitten fast alles umfassen. Manche Tabacchai halten aus Traditionsgründen sogar noch Salz bereit. Denn ehe vor Jahrzehnten das staatliche Verkaufsmonopol dafür fiel, konnte man es nur bei ihnen kaufen, auf den meisten T-Schildern steht bis heute "Sali e Tabacchi". Was die Tabacchi aber so wichtig macht, sind ihre halbamtlichen Dienste. Sie verkaufen Gebührenmarken für behördliche Vorgänge, hier gibt es Formulare und oft auch Briefmarken. Man kann sein Handy aufladen, Bus- und Parktickets erwerben, die Fernsehgebühren bezahlen und die Rechnungen für Telefon, Strom, Gas und auch Strafzettel. Manche Tabacchi nehmen Geldanweisungen vor oder verkaufen Karten für Fußballspiele und Konzerte.

Natürlich bieten nicht alle Läden sämtliche dieser Möglichkeiten an, aber insgesamt sind sie unverzichtbare Dienstleister. Und anders als viele Behörden funktionieren sie gut. So unverzichtbar sind sie, dass sie verpflichtet sind, ihre Betriebsferien zu koordinieren, damit im August kein Viertel völlig unversorgt bleibt. Mindestens so wichtig sind sie vor allem in den Wohngegenden der Großstädte als soziale Institution. Hier trifft sich die Nachbarschaft, tauscht Klatsch und Neuigkeiten aus. Die Tabacchai wissen meist alles, was in ihrer Straße wichtig ist. Wer einen Handwerker sucht oder ein gebrauchtes Moped, hat gute Chancen, bei ihnen den richtigen Tipp zu bekommen. Oft sieht man, wie sie älteren Leuten helfen, Formulare auszufüllen.

Kunterbunt und vollgestopft

Auch die Tabaccheria von Nunzia di Lorenzo und ihrem Mann Maurizio Galassi ist so ein Anlaufpunkt. Sie haben fast nur Stammkunden aus dieser Ecke in Neapels bürgerlichem Stadtteil Chiaia. Er liegt in halber Höhenlage, und irgendwie haben sie es geschafft, dass die ersten Müllhaufen sich erst ein Stück weiter auf der Straße türmen. Entlang des Corso Vittorio Emanuele ist die typische Wohnviertel-Mischung kleiner Geschäfte, Bankfilialen und Lokale versammelt. Neben dem Lottoladen ist ein Metzger mit einem Schaufenster voller bratfertiger Hühner. Die Bar Dany eins weiter ist innen in psychedelischen Violetttönen gehalten, und dann kommt ein Geschäft, vor dem Stockfischfilets in Plastikwannen baden. Eine ältere Dame sagt, sie komme jeden Tag in die Tabaccheria. Jetzt sitzt sie dort im eleganten Mantel mit Fuchsbesatz an einem der Spielautomaten, die inzwischen aus vielen Tabakläden kleine Casinos gemacht haben. Irgendwann fällt laut scheppernd ein Haufen Münzen aus der Maschine, um die 30 Euro. Peu à peu füttert die Dame damit wieder die Maschine und plaudert mit Nunzia di Lorenzo und dem Herrn am zweiten Automaten. So verbringt sie den Nachmittag, wenn auch etwas beengt. Der Laden ist winzig, vielleicht zwölf Quadratmeter, höchstens die Hälfte bleibt als Platz für Kunden.

Mit drei, vier Leuten ist das Geschäft schon überfüllt. Es ist kunterbunt und vollgestopft. Links neben dem Eingang sitzt Maurizio Galassi hinter einer Glasscheibe und ist beschäftigt mit den Geräten, die mit der Lottogesellschaft verbunden sind oder über die Kunden ihre Telefone nachladen. Seine Frau steht vor einem wandfüllenden Zigarettenregal am Tresen. Eindeutig ist eine Spezialität des Ladens Plastikspielzeug in Quietschfarben: Püppchen und rosarote Teeservices, Bälle und Entchen füllen Fenster und Vitrinen. Von der Decke baumeln Chipstüten, für ein Regal mit Papier und Klebebändern ist auch Platz. Auf dem Tresen locken Ständer mit Bonbons, Kaugummi und Schokolade, und überall hängen Lose und Spielscheine. Auch schon ausgefüllte mit Zahlen, die die Lottogesellschaft per Zufallsgenerator auswählt. Zwei solche brachten jetzt den Millionensegen.

Die beiden jungen Kerle in Lederjacken, die gerade Rubbellose gekauft haben, sagen, dieser Laden bringe Glück, schon vor den spektakulären Gewinnen hätten sie das gedacht. Gut möglich, dass dieser Glaube mit Nunzia di Lorenzo zu tun hat. Die 35-Jährige hat etwas Strahlendes an sich und eine natürliche Freundlichkeit, warum soll das kein Glück bringen. Über die Supergewinne spricht sie ohne Neid, "ich freue mich, dass wir anderen Glück gebracht haben, sagt sie.

Das Naturell des Besitzers ist selbstverständlich ein wichtiger Faktor in jeder Tabaccheria. Vor 18 Jahren haben Nunzia di Lorenzo und ihr Mann den Laden übernommen, da waren sie noch nicht verheiratet. Die Arbeit macht ihr sichtlich Spaß, sie sagt, sie hat gern mit vielen Leuten zu tun. Und die Leute haben gern mit ihr zu tun. Pietro Testa, ein ältere Herr mit Anorak und Pudelmütze sagt, er komme, weil die Inhaber so nett sind. Mehrmals am Tag kommt er meist, er wohnt nicht weit weg. "Ich bin im Ruhestand, ich mache so meine Runden und vertreibe mir die Zeit." Er darf hier immer mit einem Plausch rechnen, sie scherzen, und manchmal, sagt Testa, würde der eher still wirkende Mann von Nunzia di Lorenzo sogar singen im Laden. Napolitanische Lieder selbstverständlich und ziemlich gut.

Klar, dass auch Testa Lotto spielt, und er wäre schon neugierig, wer die Millionäre sind. Echter Neid ist ihm nicht anzuhören. Dafür etwas Stolz, als er erzählt, dass auch ihn das Fernsehen interviewt hat, als der große Treffer bekannt wurde. Und einen Gewinn sieht er auf jeden Fall: Über sein schönes Neapel ist nicht wie sonst nur wegen der Müllkrise und der Camorra berichtet worden, sondern endlich etwas Positives. Dank eines wunderbaren, ganz normalen kleinen Tabakladens.

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