SZ-Gespräch:Das Problem Stalking

"Eine Anzeige allein schützt nicht vor Stalking." Der Berliner Sozialpädagoge Jochen Gladow über die Schwierigkeit, einen Beziehungskonflikt rechtzeitig vor seiner Eskalation zu erkennen und dem Opfer effektiv zu helfen.

Interview von Felicitas Kock

Jochen Gladow, ist Diplom-Sozialpädagoge und Gründungsmitglied der Beratungsstelle "Stop-Stalking" in Berlin.

SZ: Herr Gladow, in Rheinland-Pfalz hat ein angeblich 15-Jähriger seine Ex-Freundin getötet. Die Polizei wusste, dass das Mädchen bedroht wird. Wie kann es zu so einer Tat kommen?

Jochen Gladow: Ganz grundsätzlich können wir sagen, dass es Zeit braucht, eine Stalking-Situation vernünftig einzuschätzen. Wenn eine Anzeige aufgenommen wird, kommen in der Regel nur die Fakten zur Sprache: Wie lang waren die beiden zusammen, auf welche Weise stellte der Stalker seinem Opfer nach, was drohte er an? Aus einem eingehenden Gespräch mit dem Opfer kann psychologisch geschultes Personal mehr herauslesen. Der konkrete Fall ist uns weitgehend unbekannt, deshalb können und wollen wir die Arbeit der beteiligten Beamten nicht bewerten.

Was genau lesen Sie aus Gesprächen mit Betroffenen heraus?

Wenn sich Stalker und Stalkingopfer einmal nahestanden, kann das Opfer wichtige Einblicke in die Beziehungsdynamik liefern: Wie verhielten sich die beiden als Paar, wie gingen sie mit Streit um, gab es bereits Vorfälle, in denen Gewalt eine Rolle spielte? Auch im Hinblick auf den potenziellen Täter können wir ein Profil entwickeln: Hat er vielleicht eine impulsive Störung? So lässt sich in der Regel eine vorsichtige Einschätzung ableiten, ob eine akute Gefährdungslage vorliegt.

Im konkreten Fall hat die Polizei nach der Anzeige der Eltern eine "Gefährderansprache" durchgeführt. Was ist das?

Die Polizisten suchen den Beschuldigten auf und sagen ihm, was ihm vorgeworfen wird und was ihm juristisch droht, sollte er sein Verhalten nicht ändern. Mindestens genauso wichtig ist, dass sich die Beamten bei einem solchen Besuch einen persönlichen Eindruck vom Gefährder verschaffen.

Der junge Mann wurde mehrmals schriftlich auf die Polizeidienststelle geladen, ist dort aber nicht erschienen. Wenige Stunden vor der Tat, suchten ihn die Beamten dann persönlich auf, um ihm die Vorladung zu überreichen.

Die Polizeidienststellen haben schnell und angemessen gehandelt. Dass dennoch etwas passiert ist, zeigt die Schwierigkeiten, mit denen die Behörden in solchen Fällen zu kämpfen haben. Gegen den potenziellen Täter liegt ja noch nicht wirklich etwas vor, man kann ihn also nicht einfach festsetzen. Grundsätzlich bleibt festzuhalten: Eine Anzeige allein schützt nicht vor Stalking. Wir würden jedem Betroffenen empfehlen, sich zusätzlich an eine Opferschutzeinrichtung oder eine Beratungsstelle zu häuslicher Gewalt und Stalking zu wenden.

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