Hauseinsturz in Florida:"Wir richten uns auf schlechte Nachrichten ein"

Nach dem Einsturz eines Hochhauses nahe Miami sind vier Menschen tot, 159 werden noch vermisst und der Gouverneur von Florida befürchtet das Schlimmste. Rettungskräfte wollen nun einen Tunnel graben.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt nun ein Video vom Einsturz der Champlain Towers South, aufgenommen von einer Sicherheitskamera. Es dauert keine 15 Sekunden, der mittlere Block des Hauses in der Strandstadt Surfside nahe Miami sieht aus wie eine viel zu trockene Sandburg am Strand, die vom Wind weggefegt wird, kurz darauf wirkt es, als würde sich die Erde auftun und den östlichen Teil verschlucken. Es ist nicht einfach, sich das Video anzusehen, zumal nun bekannt ist, dass sich zum Zeitpunkt des Einsturzes zahlreiche Menschen in dem Zwölf-Stockwerke-Hochhaus aufhielten. Die Behörden bestätigten am Freitag vier Tote. 159 Menschen gelten noch immer als vermisst, wie die Bürgermeisterin von Miami-Dade, Daniella Levine Cava, bei einer Pressekonferenz sagte. "Leider war es eine tragische Nacht."

"Wir richten uns auf schlechte Nachrichten ein", erklärte Floridas Gouverneur Ron DeSantis, und das bedeutet: Sie rechnen mit dem Schlimmsten auf der langgestreckten Insel vor Miami, die vor allem für gehobene Wohnlagen bekannt ist. Die Champlain Towers South an der Kreuzung 88th Street und Collins Avenue bieten Luxus-Wohnungen mit Balkon, Ozeanblick, Pool. Manche Einheiten sind in diesem Jahr für mehr als eine Million Dollar verkauft worden.

Ein lauter Knall mitten in der Nacht

Um 1.30 Uhr morgens in der Nacht zum Donnerstag wurden die Bewohner aus dem Schlaf gerissen, alle, die den Moment schildern, berichten von einem lauten Knall. "Ich dachte, es sei ein schlimmes Gewitter oder ein Erdbeben", sagte Alfredo Lopez dem Miami Herald. Er lebt im südwestlichen Teil des Trakts und hörte noch einen zweiten Knall - weshalb viele zunächst an Blitzeinschlag mit folgendem Donner dachten. "Als ich die Tür öffnete, dachte ich nur: Da ist kein Gebäude mehr", sagte Raysa Rodriguez der New York Times. Sie rettete sich aus dem neunten Stockwerk über den Balkon zu einer Feuerleiter; sie lebt seit 20 Jahren in dem Gebäude und spricht aus, was so viele nun fürchten: "Ich glaube nicht, dass sie die Leute noch finden."

Hauseinsturz in Florida: Die Rettungskräfte haben große Schwierigkeiten, das Gelände zu betreten, weil immer wieder Trümmerteile abrutschen.

Die Rettungskräfte haben große Schwierigkeiten, das Gelände zu betreten, weil immer wieder Trümmerteile abrutschen.

(Foto: Chandan Khanna/AFP)

Sie haben ein sogenanntes Familiy Reunification Center eingerichtet, in dem Angehörige nach Lebenzeichen suchen können. Die Behörden betonten, dass die 159 Vermissten nicht unbedingt auch alle in dem Gebäude gewesen sein müssen. Für eine etwaige Identifizierung von Opfern seien von Angehörigen DNA-Proben genommen worden, berichteten örtliche Medien. "Wir haben bislang wirklich das Menschenmögliche getan", sagte zum Beispiel Luz Marina Pena dem Herald. Ihre 77 Jahre alte Tante Marina Azen sei in einer der 45 Wohneinheiten gewesen, die vom Einsturz betroffen gewesen seien: "Es gibt leider kaum Neuigkeiten." Das liegt daran, dass die Rettungskräfte große Schwierigkeiten haben, das Gelände zu betreten. Es sehe aus wie im Krieg, heißt es, Schutt und Trümmerteile würden so liegen, dass der Zugang gefährlich und kaum möglich sei. Zudem erschwert Regen die Suche.

Immerhin: Es waren offenbar Klopfgeräusche aus den meterhohen Trümmerbergen zu hören gewesen, weshalb Einsatzkräfte hoffen, Überlebende zu finden. "Es geht langsam voran", sagt Ray Jadallah von der Feuerwehr des Bezirks Miami-Dade: "Immer, wenn wir versuchen, ein bisschen was wegzubrechen, fallen Steine auf uns." Helfer wollen laut Jadallah nun einen Tunnel aus der Parkgarage unter dem Gelände bis ins Innere des Hauses graben.

Hauseinsturz in Florida: Nach dem ersten Schock rückt nun die Frage in den Blick: Wie konnte das passieren? Das Gebäude war erst 40 Jahre alt.

Nach dem ersten Schock rückt nun die Frage in den Blick: Wie konnte das passieren? Das Gebäude war erst 40 Jahre alt.

(Foto: Eva Marie Uzcategui/AFP)

Der Gebäudekomplex sieht nun aus wie in einem Monster-Film, bei dem Godzilla oder King Kong die Seite abgerissen hat, und das führt zur zweiten Frage am Tag danach: Wie konnte das passieren?

Die Champlain Towers South sind 1981 erbaut worden, den Gesetzen in Florida zufolge standen in diesem Jahr eine Überprüfung und größere Reparaturen am verrosteten Stahl und beschädigten Beton an. Die Bewohner berichten von Schimmel, Rissen in den Wänden, Wasser in Wohnungen; vor sechs Jahren hatte eine Bewohnerin Klage gegen die Besitzer eingereicht mit der Begründung, dass das Gebäude schlecht gewartet werde und deshalb Wasser durch die Risse in den Wänden in die Wohnung gelangte; ihr Anwalt schrieb von "ernsthaftem Verfall". Eine Studie der Florida International University aus dem vergangenen Jahr zeigte, dass der Komplex um mehrere Zentimeter pro Jahr wegen Erosion sinke; Bewohner berichten auch von immensen Erschütterungen, als ein Gebäude in der Nähe abgerissen wurde.

Keine Anzeichen für einen drohenden Einsturz

Kenneth Direktor allerdings, Anwalt der Vereinigung der Bewohner, sagte in einem Statement, dass die Analysen trotz der Berichte von Schäden und Rost keine Anzeichen geliefert hätten, dass das Gebäude vom Einsturz bedroht gewesen sei.

Es dürfte also noch dauern, bis die wahren Gründe für den Einsturz bekannt werden, die Suche nach den Vermissten dürfte ebenfalls bis übers Wochenende andauern. Das Video, das nun zu sehen ist, ist verstörend; wie schlimm es wirklich aussieht, zeigt die Aussage von Gouverneur DeSantis, der noch am Donnerstagabend den Notstand im Bezirk ausrief. "Es ist traumatisierend, so ein gewaltiges Gebäude eingestürzt zu sehen", sagte er: "Die Videos, die nun zu sehen sind, werden dem nicht gerecht."

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