Südkorea:Schlagseite

Südkorea: Zwei Barken heben die Sewol im Meer vor der südkoreanischen Insel Jindo. 304 Menschen starben bei dem Unglück damals - im Wrack der vor drei Jahren gesunkenen Fähre werden die Leichen von neun bis heute vermissten Passagieren vermutet.

Zwei Barken heben die Sewol im Meer vor der südkoreanischen Insel Jindo. 304 Menschen starben bei dem Unglück damals - im Wrack der vor drei Jahren gesunkenen Fähre werden die Leichen von neun bis heute vermissten Passagieren vermutet.

(Foto: AFP)

Die vor drei Jahren gesunkene Fähre "Sewol" wird gehoben. Von kleinen Schiffen aus beobachten viele Eltern der damals ums Leben gekommenen Kinder die 70 Millionen Euro teure Aktion.

Von Christoph Neidhart

Vor fast drei Jahren sank die Sewol, sie riss 304 Menschen in den Tod, die meisten von ihnen Mittelschüler vom Dawon-Gymnasium in Ansan, einem Vorort von Seoul. Die Sewol war eine Fähre, die Incheon unweit von Seoul mit Südkoreas Ferieninsel Jeju verband, ihr Sinken ist bis heute eine Tragödie: Neun Tote wurden nie gefunden. Jetzt kehrten viele Eltern der Opfer zurück an den Unglücksort, von kleinen Schiffen aus sahen zu, wie im Meer vor der südkoreanischen Insel Jindo riesige Bergungs-Barken das Wrack der Sewol so weit hoben, dass der verrostete Kiel aus dem Wasser ragte.

Am Unglückstag war die Präsidentin beschäftigt: Sie hatte einen Frisörtermin

Die Geschichte vom Ende der Sewol ist die Folge einer unglaublichen Ereigniskette, die damals für viel Empörung sorgte. Die Sewol war nicht seetauglich, der korrupte Reeder hatte sie umbauen lassen und von den Behörden die nötigen Bewilligungen erschlichen. Er floh noch am Tag des Unfalls und nahm sich später das Leben. Das Schiff war über- und falsch beladen, seine Crew inkompetent. Einige Seeleute tranken noch während des Unglücks Bier. Als die Fähre in ruhiger See Schlagseite bekam, wies die Besatzung die jungen Passagiere an, in ihren Kajüten zu bleiben. Wer sich daran hielt, ertrank; von jenen, die trotzdem an Deck kletterten, wurden viele gerettet. Die Crew brachte sich selbst in Sicherheit, ohne sich um ihre Passagiere zu kümmern. Der Kapitän und einige Offiziere sitzen deshalb im Gefängnis. Manche der im sinkenden Schiffsrumpf gefangenen Kinder hatten noch Handy-Empfang. Ihre Eltern konnten sie sterben hören.

Es folgte eine Rettungsaktion, die nichts mehr war als eine kaum fassbare Farce. Den Medien wurde gesagt, alle Passagiere hätten überlebt. Dann wurde behauptet, die größte Rettungsaktion der südkoreanischen Geschichte mit Dutzenden Hubschraubern sei im Gange. Dabei passierte am ersten Tag fast nichts. Im erschütternden Dokumentarfilm "Sewol" der in Berlin lebenden Koreanerin Jeong Ok-hee erklärt eine Mutter, die ihr Kind verlor, detailliert, dass die Küstenwache und die Marine gar nicht ausgerüstet waren, Menschen aus einem Schiffsrumpf zu holen. Die Kinder hätten auch dann noch nicht gerettet werden können, als am dritten Tag tatsächlich Dutzende Taucher, Schiffe und Flugzeuge im Einsatz waren.

Die inzwischen abgesetzte südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye blieb an jenem Tag unauffindbar. Statt die Notfallmaßnahmen zu leiten, hatte sie einen Friseurtermin. Später versuchte sie, den Medien einen Maulkorb umzuhängen und die trauernden Eltern als Störenfriede zu brankmarken. Damit hat sie wesentlich zur Wut beigetragen, mit der die Südkoreaner im Winter für ihre Absetzung wegen Korruption protestierten.

Die Sewol-Katastrophe hat das Land verändert. Das totale Versagen der Behörden und die Vertuschungsversuche haben die Menschen schockiert und ihr Vertrauen in den Staat zerstört. Die jüngsten Wähler, die nun "Sewol-Generation" genannt werden, haben im Vorjahr zum Sieg der Opposition in den Parlamentswahlen beigetragen - und zur Amtsenthebung von Park Geun-hye. Bis heute gedenken täglich viele Koreaner an einem improvisierten Schrein in einem gelben Zelt auf dem zentralen Gwanghwamun-Platz von Seoul der Opfer.

Viele Südkoreaner hoffen, mit der Bergung der Fähre, die von den Angehörigen gefordert wurde, finde die kollektive Wut und die Trauer einen Abschluss. Zumal erwartet wird, die neun noch vermissten Leichen würden aus dem Rumpf geborgen. Die Hebung der Sewol kostet ungefähr 70 Millionen Euro. Zur Klärung des Unfallhergangs wäre sie allerdings nicht nötig, denn die ist längst klar: Die Crew hatte zu scharf nach Steuerbord abgedreht, deswegen verschob sich die ungenügend verankerte Ladung. Das führte zur Schlagseite des Schiffes, die die Crew nicht in den Griff bekam.

Das Wrack soll bis zum Wochenende auf der Unterwasserplattform eines Spezialschleppers in den 90 Kilometer entfernten Hafen von Mokpo gebracht werden.

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