Was hat der Mensch seinem Nachbarn nicht schon alles über den Zaun geworfen: faule Äpfel zum Beispiel, Lärchennadeln oder Salatköpfe. Konnte man ja alles schon in der Zeitung lesen. Gebracht hat es nie etwas, danach hatte der Werfer entweder tote Ratten vor der Haustür oder weißes Pulver im Briefkasten. In Einzelfällen wurde dann noch die Güllepumpe aus dem Schuppen gefahren, der Maschendrahtzaun eingerissen und hätte sich im letzten Moment nicht eine unabhängige Instanz eingeschaltet, welche die Parteien befriedete, wären sie vielleicht sogar mit Handgranaten und Streubomben aufeinander losgegangen.
Gerade haben Aktivisten – als Antwort auf stinkende Luftpost aus Nordkorea – Ballons mit USB-Sticks aus Südkorea über die Grenze zum Nachbarn Richtung Norden geschickt. Auf den USB-Sticks sollen K-Pop-Songs gespeichert gewesen sein.
Candystorm mit K-Pop
K-Pop ist nicht jedermanns Sache. Es gibt Leute, die viel lieber Shakira oder Semino Rossi hören. Andererseits sollte man, selbst in brandgefährlichen nachbarschaftlichen Situationen, nicht immer und grundsätzlich nur vom Allerschlechtesten ausgehen (zumal die Aktivisten zu den USB-Sticks auch noch Geld in die Ballon-Beutel gepackt hatten, wenn auch US-Dollar). Es könnte ja sein, dass – Frieden ist machbar, Herr Nachbar! – die Aktivisten zumindest diesmal den nordkoreanischen Shitstorm einfach mit einem südkoreanischen Candystorm durchbrechen wollten.
Im spanischen Buñol zeigen die Leute Jahr für Jahr, wie das geht. Sie bewerfen sich dort sehr fröhlich mit überreifen Tomaten – ein Ritual, das seinen Ursprung in einem nicht ganz so fröhlichen Streit unter Nachbarn gehabt haben soll. Tomaten zu Ketchup, Schwerter zu Pflugscharen – für die Menschheit wäre das ein echter Gewinn! Und am besten macht man es tänzerisch wie Tom Waits: Sein Song „In the Neighourhood“ beschreibt zwar sehr anschaulich das tägliche Grauen in einer Kleinstadt. Doch kommt sein schwerer Text im heiteren Dreivierteltakt daher. Ja, auch ein gemeinsamer Walzer kann ein Ausweg sein.
Und eines muss man schon festhalten: Die Idee, K-Pop-Songs nicht wieder fürchterlich laut am Grenzzaun abzuspielen (was Südkorea in der Vergangenheit gemacht hat), sondern dem Nachbarn einfach nur als Audiodatei auf einem handelsüblichen Datenträger zu offerieren, das ist schon ein echter kultureller Fortschritt, nicht?
Zumindest wäre es gut, wenn es die andere Seite vielleicht mal so sieht. Denn nichts ist schlimmer als so ein blöder Nachbarschaftsstreit.