Südafrika:Urteil gegen Oscar Pistorius: Sechs Jahre Haft für "murder"

Die Berufungsrichterin schickt den Ex-Sprinter wegen des Totschlags an seiner Freundin nur ein Jahr länger ins Gefängnis als die erste Instanz - zum Entsetzen von Kritikern.

Von Isabel Pfaff

Es könnte der letzte Akt in dem jahrelangen Justizdrama um den früheren Sprinter Oscar Pistorius gewesen sein: Sechs Jahre Gefängnis lautet das Strafmaß für den 29-jährigen Südafrikaner, wie Richterin Thokozile Masipa am Mittwoch in Pretoria verkündete. Der unterschenkelamputierte Pistorius hatte seine Freundin Reeva Steenkamp, ein Fotomodel, am Valentinstag 2013 durch die Badezimmertür erschossen. Während die Staatsanwaltschaft Pistorius absichtliche Tötung vorwarf, hatte dieser während des gesamten Verfahrens beteuert, er habe hinter der Tür einen Einbrecher vermutet und seine Freundin aus Versehen erschossen.

In erster Instanz hatte Richterin Masipa den Sportler wegen fahrlässiger Tötung zu fünf Jahren Haft verurteilt, doch ein Berufungsgericht wandelte das Urteil im Dezember 2015 in "murder" um - ein Straftatbestand, der etwa dem deutschen Totschlag entspricht. Die Richterin musste deshalb ein neues Strafmaß festlegen - und blieb mit sechs Jahren deutlich unter der gesetzlich festgelegten Mindeststrafe von 15 Jahren.

Die mildernden Umstände

Pistorius hatte sich während der jüngsten Anhörung nicht geäußert. Ein psychologischer Gutachter hatte vor Gericht erklärt, er leide unter schweren Depressionen und posttraumatischem Stress und könne deshalb nicht aussagen. Sein Verteidiger ließ ihn aber vor der Richterbank auf seinen Stümpfen auf- und abgehen, um zu zeigen, wie hilflos der Sportler ohne seine Prothesen sei - ein zentrales Argument der Verteidigung, denn Pistorius soll auch in der Tatnacht keine Prothesen getragen haben. Er sei durch die Geräusche im Badezimmer in Panik geraten und habe in seiner Angst vier Schüsse abgegeben, ohne zu bemerken, dass seine Freundin gar nicht neben ihm lag.

Richterin Masipa folgte der Linie der Verteidigung und begründete ihr Urteil mit den mildernden Umständen, die bei Pistorius vorliegen würden: seine Behinderung, sein mentaler Zustand und auch seine Reue, die er im Gericht unter Beweis gestellt habe, als er sich bei der Familie von Reeva Steenkamp entschuldigte.

Falsches Signal an Gewaltopfer - und Täter?

Dass das mehr als drei Jahre dauernde Verfahren Pistorius schwer zusetzte, war auf den Fernsehbildern aus dem Gericht deutlich zu sehen. Als Steenkamps Vater im Juni mit brüchiger Stimme den Schmerz über den Tod seiner Tochter beschrieb, brach Pistorius in Tränen aus. Überhaupt verlor der einstige Sportstar, der als erster beidseitig beinamputierter Sprinter an den regulären Olympischen Spielen teilgenommen hatte, vor Gericht häufig die Fassung. Am Mittwoch allerdings nahm er den Richterspruch reglos entgegen; er umarmte seine Angehörigen und wurde kurz darauf in ein Gefängnis in Pretoria gebracht.

Dass das neue Strafmaß nur ein Jahr über dem alten liegt, empört in Südafrika viele, darunter die Frauenorganisation der Regierungspartei ANC, die in dem Tod Steenkamps ein Beispiel für die in Südafrika alltägliche Gewalt gegen Frauen sieht. Die Richterin lehnte diese Interpretation der Tat ab; die Staatsanwaltschaft habe dazu keinerlei Beweise vorlegen können.

Oscar Pistorius Prozess

Von der Darstellung der Verteidigung überzeugt: Richterin Thokozile Masipa.

(Foto: dpa)

Drittes Verfahren möglich

Auch vor dem Hintergrund der extrem hohen Mordrate in Südafrika halten viele Beobachter die milde Strafe für ein falsches Signal - noch dazu in einem Fall, der wegen der Prominenz von Täter und Opfer so viel globale Aufmerksamkeit erhalten hat wie kein anderer in Südafrika.

Noch ein letztes Mal können Anklage und Verteidigung Rechtsmittel gegen Masipas Entscheidung einlegen. Pistorius' Verteidigerteam teilte bereits mit, man werde das Urteil akzeptieren. Was die Anklage tun wird, war am Mittwoch noch offen; sie hat 14 Tage Zeit, über ihr Vorgehen zu entscheiden. Zum dritten Mal könnte alles wieder von vorne beginnen.

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