Süddeutsche Zeitung

Südafrika:Staatsanwaltschaft: Pistorius zeigte keine echte Reue

  • War es Notwehr oder Vorsatz? Wie genau es dazu kam, dass Oscar Pistorius seine Freundin Reeva Steenkamp erschossen hat, darüber sind sich die Juristen bis heute nicht einig.
  • Nachdem der Sportler aus Südafrika erst zu fünf und dann zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, verhandelt ein Berufungsgericht nun auf Wunsch der Anklage zum dritten und wohl letzten Mal den Fall.
  • Die Anklage will mit der Berufung eine höhere Haftstrafe erreichen und wirft dem Sportler mangelnde Reue vor.

Von Anna Fischhaber

Ein Mann rennt eine Straße entlang. Schneller und immer schneller. Unterhalb der Knie fehlen seine Beine. Er rennt auf eigens angefertigten Karbon-Prothesen. Mehrere Goldmedaillen hat Oscar Pistorius damit bei den Paralympics gewonnen, als erster beidseitig beinamputierter Sprinter nahm er 2012 auch an den Olympischen Spielen teil. "Ich gebe nicht auf, bis ich habe was ich will", sagt der Schauspieler, der den Südafrikaner mimt. In der nächsten Szene sieht man ihn mit einer Frau im Bett, "du bist mein persönlicher Engel" raunt er ihr zu. Schnitt. Jetzt hat er plötzlich eine Pistole in der Hand. "Raus aus meinem Haus", schreit er panisch. Er schießt. "Basierend auf der wahren Geschichte", heißt es in dem Trailer. Doch was ist die wahre Geschichte? Darüber streitet Südafrika seit Jahren. Zum dritten Mal muss sich von diesem Freitag an ein Gericht mit dem Fall Pistorius befassen.

Geht es nach den Machern von "Oscar Pistorius: Blade Runner Killer", der am 11. November erstmals im amerikanischen Fernsehen gezeigt werden soll, ist klar, was der Ausnahmesportler wirklich ist: ein kaltblütiger Killer. Sein Bruder bezeichnet den Film dagegen als "grobe Verzerrung". Was genau zwischen Pistorius und seiner Freundin Reeva Steenkamp passiert ist, darüber sind sich auch die Juristen bis heute nicht einig. Klar ist nur: Er hat das Model am Valentinstag 2013 durch die geschlossene Badezimmertür erschossen. Aus welchen Motiven heraus er es tat, ist bis heute umstritten.

Vor Gericht gab er an, sie für einen Einbrecher gehalten zu haben. Er sei nachts durch die Geräusche im Badezimmer in Panik geraten und habe vier Schüsse abgegeben, ohne zu bemerken, dass seine Freundin gar nicht neben ihm lag. Sein Verteidiger schilderte die Situation so: "Es ist drei Uhr morgens, es ist dunkel, er ist auf seinen Stümpfen. Sein Gleichgewicht ist ernsthaft beeinträchtigt, er wäre nicht in der Lage, sich zu verteidigen." Anders als in Deutschland gibt es im südafrikanischen Recht nicht die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag. Allerdings wird nach der Art des Vorsatzes unterschieden. Die zentrale Frage lautete: Wollte der Athlet seine Freundin beziehungsweise einen Eindringling töten oder handelte er in Notwehr?

Richterin Thokozile Masipa verurteilte Pistorius im Oktober 2014 wegen fahrlässiger Tötung zu nur fünf Jahren Haft. Viele Juristen reagierten damals überrascht. "Wer in einen engen Korridor auf Hüft- oder Brusthöhe schießt und weiß, dass sich hinter der Tür ein Mensch befindet, dem ist bewusst, dass der Tod eines Menschen nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich ist", sagte etwa Heiko Braun der SZ. Der Deutsche ist Rechtsanwalt in Johannesburg. Bereits nach einem Jahr wurde Pistorius aus dem Gefängnis in den Hausarrest entlassen - in die Villa seines wohlhabenden Onkels. Dort durfte er allerdings nicht bleiben.

"Er ist ein gefallener Held"

Bereits im Dezember 2015 wandelte ein Berufungsgericht das Urteil in "murder" um - ein Straftatbestand, der etwa dem deutschen Totschlag entspricht. Richterin Masipa musste deshalb ein neues Strafmaß festlegen. Doch sie blieb mit sechs Jahren erneut deutlich unter der gesetzlich festgelegten Mindeststrafe von 15 Jahren. "Er ist ein gefallener Held, er hat seine Karriere verloren, er ist finanziell ruiniert", sagte sie bei der Urteilsverkündung im Juli 2016. Er sei Ersttäter und habe Reue gezeigt, nun müsse er eine Chance haben, sich zu rehabilitieren.

Die Staatsanwaltschaft fand das Urteil "schockierend milde" und legte Revision ein. Auch viele Südafrikaner waren empört, dass das neue Strafmaß nur ein Jahr über dem alten liegt. Vielen galt das als Zeichen, dass wohlhabende Weiße vor Gericht noch immer anders behandelt werden als Schwarze. Eine prominente Frauenorganisation kritisierte zudem, es sende ein fatales Signal der Nachsicht gegenüber häuslicher Gewalt. Die schwarze Richterin Masipa wies das zurück: "Unsere Gerichte dienen dem Gesetz, nicht der öffentlichen Meinung."

Nun also wird der Fall zum dritten Mal verhandelt. Eine Entscheidung der fünf Richter über den Berufungsantrag der Staatsanwaltschaft wird allerdings erst für die kommenden Wochen erwartet. Anklägerin Andrea Johnson sagte am Freitag, der Sportler habe viel Selbstmitleid, aber keine wirkliche Reue gezeigt. Zudem habe er bis heute keine schlüssige Erklärung dafür geliefert, wieso er ohne jegliche Warnung vier Schüsse abfeuerte. Pistorius habe vor Gericht um Entschuldigung gebeten, er habe sich jedoch nie zu dem Verbrechen bekannt. "Viele Angeklagte bedauern ihre Taten ... aber das entspricht nicht wirklicher Reue", so Johnson.

Verteidiger Barry Roux wies die Anschuldigungen zurück: "Er ist ein gebrochener Mann", sagte Roux über seinen Mandanten. Dieser habe Reeva Steenkamp nicht töten wollen, es sei "ein Unfall" gewesen. Pistorius selbst, der derzeit in Pretoria im Gefängnis sitzt, wird nicht vor dem obersten Berufungsgericht Südafrikas in Bloemfontein erwartet. Dass das jahrelange Hin und Her dem heute 30-Jährigen zusetzt, war aber bereits bei den vorangegangenen Anhörungen zu sehen, die Millionen Zuschauer live im Fernsehen verfolgt hatten. Immer wieder verlor der einstige Nationalheld die Fassung. Ein von der Verteidigung bestellter psychologischer Gutachter erklärte 2016, er leide unter schweren Depressionen.

Der Prozess könnte nun endlich der letzte Akt in dem jahrelangen Justizdrama sein. Zumindest ist es das letzte Mal, dass sich ein Gericht mit dem Strafmaß befassen wird - die Rechtsmittel sind ausgeschöpft. Der Streit um die Wahrheit wird aber wohl weiter die Justiz beschäftigen. Pistorius' Familie hat angekündigt, gegen die Ausstrahlung von "Oscar Pistorius: Blade Runner Killer" vorzugehen. Und auch die Eltern von Steenkamp, die vom deutschen Model Toni Garrn gespielt wird, sind wütend über den Film, weil er aus der Perspektive des Opfers und dessen Mutter erzählt wird. Zumindest der Eindruck, die Familie befürworte den Film, sei schlicht "nicht wahr".

(Mit Material der Agenturen)

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