Süddeutsche Zeitung

Suche nach Flug MH370:Die Tücken des Indischen Ozeans

Warum wurde die verschwundene Malaysia-Airlines-Maschine noch nicht gefunden? Wieso ist die Auswertung der Satellitendaten schwierig? Was bewirken Ozeanwirbel? Antworten auf die drängendsten Fragen zur Suche nach Flug MH370.

Von Christoph Behrens und Jana Stegemann

20 Tage ist es her, dass Flug MH370 verschwand. Bis heute suchen Expertenteams aus 26 Nationen mit Dutzenden Flugzeugen und Schiffen nach Wrackteilen der im Indischen Ozean abgestürzten Malaysia-Airlines-Maschine, ein 60 Meter breites Flugzeug mit 239 Menschen an Bord. Nachdem im Laufe der Woche Satellitenbilder aufgetaucht waren, die mutmaßliche Trümmerteile zeigten, wurde das Suchgebiet um 1100 Kilometer verlegt, in eine Region 1850 Kilometer westlich von Perth. Die australische Seenotrettung Amsa vermeldete am Freitagmittag, dass ein Aufklärungsflugzeug verdächtige Teile im Meer entdeckt habe. Zu dieser Stelle sind nun Schiffe unterwegs.

Warum gestaltet sich die Suche nach Wrackteilen von Flug MH370 so schwierig?

Das Gebiet, auf das sich seit Freitag die Suche konzentriert, umfasst 319 000 Quadratkilometer im Indischen Ozean und ist damit in etwa so groß wie ganz Deutschland ohne Bayern. Es ist näher dran an der australischen Stadt Perth als das vorherige Suchgebiet, was für die Aufklärungsflugzeuge kürzere Anflugzeiten und entsprechend mehr Suchstunden bedeutet, weil die Maschinen weniger Treibstoff für den Rückflug benötigen.

Trotzdem ist es noch immer Teil eines wenig erforschten Meeresgebietes. Es verläuft keine Schifffahrtsroute durch diese Region - es wagen sich nur Forschungsschiffe in dieses Gebiet, um beispielsweise Metallerzvorkommen am Boden zu untersuchen.

Australiens Verteidigungsminister David Johnston nannte die Suche einen "logistischen Alptraum". Der australische Premier Tony Abbott bezeichnete das Suchgebiet als "unzugänglichsten Ort der Welt". Die Strömung in dem Gebiet ist eine der stärksten weltweit, das Wasser bewegt sich etwa einen Meter pro Sekunde, die Wellen können bis zu neun Meter hoch werden. Bis zum Donnerstag wurde in einer Region gesucht, die auch "Roaring Forties" ("Brüllende Vierziger") genannt wird.

Der Name rührt daher, dass zwischen 40° und 50° südlicher Breite unbeständige Winde mit bis zu 160 Stundenkilometern herrschen. Weil den gewaltigen Sturmzonen in der Nähe keine Landmasse im Weg liegt, umkreisen sie ungebremst die Antarktis und verursachen dabei haushohe Wellen. Hinzu kommt, dass der Meeresboden im Suchgebiet extrem zerklüftet ist. "Wir sprechen vom südostindischen Rücken, einem gigantischen Gebirgsmassiv mit Höhenunterschieden von bis zu 1000 Metern", sagt Peter Herzig, Institutsleiter des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel. Das Meer ist in dieser Region stellenweise bis zu 6000 Metern tief. Die genaue Tiefe kennt aber niemand, weil sie bisher nicht vermessen wurde.

Welche Rolle spielen die sogenannten Ozeanwirbel?

Das Meer in der Suchregion fließt nicht wie ein Fluss in eine Richtung. Es gibt signifikante Strömungen, die eine Verdriftung der Wrackteile bewirken und die Trümmerteile Tausende Kilometer weit über dem Meeresboden verwirbeln können. "Das Problem dieser Suche ist, dass sich keine Spur der Wrackteile als Trümmerteppich im Wasser nachzeichnen lässt", beschreibt Herzig die Widrigkeiten.

Weil auch 20 Tage nach dem Verschwinden der Maschine nicht klar ist, ob das Flugzeug in der Luft explodierte, beim Auftreffen auf der Wasseroberfläche zerschellte oder die Flugzeugführer noch eine Notwasserung probierten, lasse sich der Eintauchwinkel des Flugzeuges nur "sehr schwer bis gar nicht" rekonstruieren, so Herzig. Dieser Eintauchwinkel ist für die Suche jedoch ein sehr wichtiges Indiz. "Ob die Maschine flach oder steil eingetaucht ist, ist für die Bestimmung einer möglichen Absturzstelle ganz erheblich. Nehmen wir an, es ist in einem flachen Winkel eingetaucht, dann könnten die Trümmerteile erhebliche Distanzen zurückgelegt haben."

So habe man nach dem Absturz der Air-France-Maschine AF 447 im Jahr 2009 im Atlantik zwar relativ bald das Leitwerk finden können, trotzdem habe es mehrere Monate gedauert, bis Suchmannschaften weitere Teile fanden. "Wir haben damals immer wieder über Verdriftungsmodellierungen versucht, das Suchgebiet weiter einzugrenzen", berichtet Herzig, dessen Team an der Suche nach dem Airbus A330 beteiligt war und der sich bei einer offiziellen Anfrage der malaysischen Behörden mit seinem Team und dem U-Boot auf den Weg machen würde, um den Meeresboden abzusuchen.

Warum setzen die Experten nicht Unterwasser-Drohnen und -Roboter auf ihrer Suche nach möglichen Wrackteilen ein?

Das Kieler Forschungsinstitut besitzt eines von weltweit nur zwei autonom operierenden U-Booten, die für eine Suche in Meerestiefen ab 3000 Metern geeignet sind. Am Woods-Hole-Institut im US-Bundesstaat Massachusetts steht das andere U-Boot. Die beiden Unterwasser-Drohnen mit dem offiziellen Namen "Abyss" sind vier Meter lang und 70 Zentimeter breit. Die gelben, torpedoartigen Geräte haben in ihrem Bauch eingebaute Sensoren, mit denen sie aus einer Höhe von 50 Metern den Meeresboden abscannen können. Sie sind in der Lage, zwischen Schlamm, Plastik und anderen Sedimenten zu unterscheiden.

Den Drohnen wird an Bord eines Schiffes ein Kurs einprogrammiert, danach suchen sie weitestgehend selbstständig und sind intelligent genug, kurzfristig auftretenden Hindernissen auszuweichen. Sie halten per Schallwellen Verbindung zum Forschungsschiff. Aber: Nach 100 Kilometern Suche (etwa 24 Stunden) sind ihre Batterien erschöpft und müssen zwölf Stunden aufgeladen werden. Das Suchgebiet muss demnach bereits deutlich eingegrenzt sein, um diese Drohnen erfolgreich einsetzen zu können.

Ebenso verhält es sich mit Unterwasser-Robotern, die mit einem sieben Kilometer langen Kabel von einem Schiff aus gesteuert werden können und über elektrohydraulische Arme und Kameraugen mit extrem starken Scheinwerfern verfügen. Beide Spezialgeräte wurden auch bei der Suche nach der Air-France-Maschine eingesetzt. Ingesamt sind Herzig zufolge 85 000 Meeresbodenfotos einer 2000 Quadratkilometer großen Fläche entstanden, die von einer niederländisch-amerikanischen Spezialfirma exakt ausgewertet wurden.

In etwa zwei Wochen werden die Batterien der Blackbox erschöpft sein. Kann man den Flugdatenschreiber dann trotzdem noch finden?

Im ungünstigen Fall liegt die Blackbox so tief auf dem Meeresgrund, dass ihr elektrisches Signal nur von Empfängern auf Booten wahrgenommen werden kann, die direkt darüber schwimmen. Liegt sie unter Trümmerteilen begraben, wird die Suche noch aufwändiger. Es könnte jedoch sein, dass - auch wenn die Blackbox gefunden werden sollte - die aufgezeichneten Daten keinen Rückschluss auf die Geschehnisse an Bord von MH370 zulassen. Stimmenrekorder im Cockpit müssen nämlich nur die Gespräch der jeweils letzten zwei Stunden aufzeichnen. Entscheidend ist aber, was um 1.21 Uhr im Cockpit vor sich ging, dem Moment als der Transponder abgeschaltet wurde. Auswertungen von Satellitendaten zufolge ist die Maschine nach diesem Zeitpunkt noch stundenlang weitergeflogen.

Wie aktuell sind die Satellitenbilder, die zur Suche nach Wrackteilen ausgewertet werden?

In abgelegenen Regionen der Welt kommt es vor, dass gute Satellitenbilder bis zu drei Jahre alt sind. Denn hochauflösende optische Satelliten sind derzeit noch rar, nur etwa ein Dutzend davon umkreisen bislang die Erde. Was sie fotografieren, hängt von der Auftragslage ab. Vertragspartner wie "European Space Imaging" (ESI) können die Satelliten am Vortag "tasken", ein bestimmtes Gebiet anzufliegen. Derzeit steuern wohl etwa fünf Satelliten die Regionen im Indischen Ozean an, in denen Trümmerteile vermutet werden, schätzt Penelope Richardson von der Satellitenbild-Firma. Gerade konzentriert sich die Suche auf ein Gebiet westlich von Australien. "Die Punkte können dann auf Wunsch täglich aufgenommen werden", sagt Richardson. ESI geht davon aus, dass das derzeit auch passiert.

Was kann man auf den Satellitenbildern erkennen?

Die Qualität hängt stark von den einzelnen Satelliten ab. Die besten kommerziellen optischen Satelliten, genannt Worldview, erreichen eine Auflösung von 50 cm - ein Pixel auf dem Bild entspricht dann einem halben Meter Erdoberfläche. Geheimdienste verfügen wohl über noch genauere Aufnahmen. Wind und Wetter erschweren jedoch nicht nur den Suchtrupps auf dem Meer die Suche - auch auf Satellitenbildern ist nichts zu sehen, wenn Wolken oder Stürme aufziehen. Eine Ausnahme sind Radarsatelliten, die auch durch Wolken hindurchspähen können. Solche Satellitentypen könnten auch Trümmerteile der vermissten Boeing-Maschine ausmachen, vermutet Richardson. Das Suchgebiet ist jedoch so riesig, dass ein Satellit beim Überfliegen nicht mehr alles im Blick hat.

Wie werden die Satellitenbilder ausgewertet?

Die Auswertung der Satellitenbilder ist eine enorme Herausforderung, da sie ein Gebiet von tausenden Quadratkilometern zeigen. Die auf Satellitenbilder spezialisierte Firma DigitalGlobe bittet daher Internetnutzer um Mithilfe: Unter tomnod.com kann jeder die Bilder durchgehen und mögliche Trümmerteile markieren.

Wie hilfreich sind Satelliten dann in so einem Katastrophenfall überhaupt?

Gerade in abgelegenen Region wie derzeit westlich von Australien sind optische Satelliten noch eines der besten Werkzeuge, da diese Flächen anders kaum überwacht werden können. Künftig dürfte diese Form der Erdüberwachung von oben noch zunehmen: Die kalifornische Firma Planet Labs schickte diesen Februar 28 Minisatelliten, sogenannte Cubesats, in den Orbit. Sobald die Flotte in Position ist, wird sie rund um die Uhr die Erde fotografieren - die Bilder könnten dann stündlich aktualisiert werden. Mächtige Computeralgorithmen sollen bei der Auswertung der riesigen Datenmengen helfen, und automatisch Objekte erkennen - wie zum Beispiel Trümmerteile.

Linktipp:

Die Entwicklungen von Freitag im Newsblog.

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