Noch am vergangenen Wochenende hat Kevin Großkreutz einen gesunden Eindruck gemacht. Er ging am Sonntagnachmittag seiner Arbeit nach, er ist seit einiger Zeit wieder recht erfolgreich. Großkreutz, 29, sechsmaliger Fußball-Nationalspieler und Weltmeister 2014, spielt für den SV Darmstadt 98 in der zweiten Bundesliga. Die Begegnung mit Dynamo Dresden endete 3:3, Großkreutz äußerte danach seinen Stolz, Teil der Mannschaft zu sein. Ein ganz normaler Fußballprofi.
Als es am Dienstag um einen Abend im Februar ging, nach dem Großkreutz' Zukunft als Fußballer infrage stand, ließ er sich aus gesundheitlichen Gründen entschuldigen. Im Amtsgericht Stuttgart wurde der Prozess gegen zwei junge Männer eröffnet, einen 17-Jährigen und einen 18-Jährigen. Sie gestanden, Großkreutz in der Nacht zum 28. Februar in der Stuttgarter Altstadt geschlagen und getreten zu haben, sie müssen sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Großkreutz, damals noch beim VfB Stuttgart, soll in jener Nacht mit Jugendspielern des VfB gefeiert haben.
Ein paar Tage später saß er in einer Pressekonferenz, das rechte Auge blau unterlaufen, er weinte. Der Klub entließ ihn, denn Fußballer sollen ja auch immer Vorbilder sein. Es sah damals aus wie der tiefe Fall eines Sportlers, der wegen seiner volksnahen Art der Liebling vieler Fans gewesen war, sich aber nun eine Entgleisung zu viel geleistet hatte. Und es war eine Geschichte, die Rätsel aufgab. Warum zieht ein Profi mit rund zwölf Jahre jüngeren Nachwuchsspielern um die Häuser? Warum gerät er in eine Schlägerei?
Hat Großkreutz provoziert, als der Streit eigentlich schon beigelegt war?
Um 10.30 Uhr war Großkreutz als erster Zeuge geladen, doch die Fotografen vor Saal 1 warteten vergeblich: Großkreutz kam nicht. Er hatte ein Attest gefaxt, um sich für zwei Tage krankzumelden. In Darmstadt hatte Großkreutz im Lauftraining am Montag nach Angaben des Klubs wegen eines Infekts gefehlt. Am Dienstag war trainingsfrei. Doch auch wenn er nicht da war, ging es in der Rekonstruktion der Nacht um ihn. Es ging "um den Fall Kevin Großkreutz", wie die Richterin sagte.
Die ersten Zeugen am Dienstagvormittag schilderten die Begegnung vor einem Nachtclub im Rotlichtviertel, die einen Streit zwischen zwei Gruppen auslöste: zwischen der Gruppe um die Angeklagten und der Gruppe um Großkreutz und die Nachwuchsfußballer. Der Streit sei beigelegt gewesen, sagten drei 17-Jährige, damals Jugendspieler des VfB Stuttgart - bis Großkreutz kam. Der habe die Jugendlichen beschützen wollen, habe gestikuliert, gepöbelt, "rumgestresst". Großkreutz, 1,86 Meter groß, habe einen kleineren Jungen geschubst. Wenig später war der Fußballer bewusstlos, nachdem er, auf dem Boden liegend, vom 17-Jährigen brutal ins Gesicht getreten worden war. Heftig wie bei einem Schuss mit einem Fußball, so ahmten es die Zeugen nach.
Nach einem Faustschlag des 18-Jährigen ins Gesicht war Großkreutz zuvor auf den Boden gefallen und mit dem Kopf auf einer Betonkante aufgeschlagen. Großkreutz musste im Krankenhaus behandelt werden, sein Gesicht war wegen einer Jochbeinprellung stark geschwollen. Er sei froh, überlebt zu haben, sagte er später. Die beiden Angeklagten sind polizeibekannt, seit dem 5. April sitzen sie in Untersuchungshaft. Sie ließen ihre Verteidiger sprechen und Entschuldigungen vorlesen. Sie verkniffen sich mehrmals vergeblich ein Grinsen, als es um die Schlägerei ging.
So wie die Zeugen über den Abend sprachen, war es einer, wie er oft vorkommt: Jugendliche tranken Bier, sie tranken Jägermeister und Wodka-Shots, zählten sie auf. Sie waren stark alkoholisiert und provozierten. Doch warum war ein 29 Jahre alter Fußballprofi dabei? Offenbar ebenfalls betrunken und an der Eskalation womöglich nicht unbeteiligt? Einer der Nachwuchsfußballer sagte aus, dass sie eine Party um Mitternacht verlassen hatten und Großkreutz erst danach trafen. Der habe eine SMS geschickt, "ob wir feiern wollen". Und er habe vorgeschlagen, ins Rotlichtviertel weiterzuziehen.
Es ist mindestens ein weiterer Verhandlungstag angesetzt. Ob Kevin Großkreutz allerdings selbst noch aussagen wird, ist unklar. Am 5. Oktober ist er wieder als Zeuge geladen.