Sturmjäger:Orkan und Tornado - wunderbar!

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"Der Walter fährt gern rein ins Gewitter": Wenn es hagelt und stürmt, gibt es für "Stormchaser" kein Halten mehr.

Von Anne Goebel

Zum Abschied wünscht Thies Stillahn "einen schönen Tag", was eigentlich harmlos klingt. Aber bei ihm fragt man sich schon, was er damit meint. Einen schönen Nachmittag mit steil aufgetürmten Wolkenbergen? Danach wilde Turbulenzen, gegen Abend ein spektakulärer Hagelorkan? Thies Stillahn ist Gewitterjäger, ihn faszinieren alle Wetterlagen, aber ganz besonders die unruhigen.

Wenn Blitze zucken und sich schwarze Fronten aufbauen, dann schlägt die Stunde der Sturmjäger. (Foto: Foto: dpa)

"Stormchaser" heißen Männer wie er in den USA, weil sie Phänomenen wie Tornados nachjagen. Ein Wort, das Thies Stillahn aus Freiburg nicht besonders mag, weil es fast martialisch klingt. Andererseits ist es nunmal kein Zeitvertreib für Elegische: Andere sammeln Kakteen oder machen Yoga. Stillahn findet extremes Wetter schön. Wenn Blitze zucken und sich schwarze Fronten aufbauen, wollen die meisten Menschen ins Geschützte. Er will dann raus. Stillahns Homepage heißt www.grenzwetter.de.

Gewitterjäger, die ihre Freizeit mit Fotoapparat und Filmkamera unter schwerem Himmel auf dem freien Feld verbringen, sind meistens keine Meteorologen wie die Mitarbeiter des Deutschen Wetterdiensts. Es sind Wetterfreaks, die sich in Internetforen wie www.germansevereweather. de über ihre Grenzerfahrungen mit Haufenwolken und rotierenden Luftmassen austauschen und Fotos wie Trophäen präsentieren.

Manche, wie Thies Stillahn, arbeiten auch Unwetterwarnsystemen wie dem Verein "Skywarn" zu. Aber Meteorologie als Studium sei für ihn nicht in Frage gekommen. "In den ersten Semestern nur Mathe und Physik, alles extrem trocken. Das ist nichts für Wetterenthusiasten", sagt der 26-jährige Wirtschafts-Student.

Statt Theorie also lieber Fahrten im Faradayschen Käfig: Stillahn ist im Südschwarzwald aufgewachsen, was gewittermäßig gesehen eine begünstigte Zone in Deutschland ist, und seit er mit sechs Jahren nach einem extremen Hagelschlag die Körner eimerweise im Garten aufsammelte, gehört seine Leidenschaft "dem heftigen Wetter. Und Gewitter sind nunmal das Heftigste, was es beim Wetter gibt."

Sobald eine Front aufzieht, setzt sich Stillahn mit seiner Kamera ins Auto, steuert - mittlerweile zielsicher - einen Ort an, von dem aus die Sicht gut ist ("immer vor dem Gewitter herfahren!") und macht während des "Chasings" seine Aufnahmen. Im Netz werden die Fotos der Jäger unter Stichworten wie "Böenfront" oder "Wall cloud" diskutiert. "Der Tag war einfach der Hammer. Habe vier Gewitter gezählt, und nur beim ersten konnte ich vernünftig jagen gehen. Verpflichtungen halt."

Oder: "Hier in Bremen sagt man schon, wenn eine dunkle Wand kommt, ach, das zieht weg. Diese Trockenheit macht einen echt fertig."

Es geht aber nicht bloß um Bilderbeute, Stillahn und seine Kollegen legen Wert auf die Feststellung, dass sie sich nicht aus purer Sensationslust auf die Lauer legen. "Die meisten sind Naturfreunde, wir sind einfach fasziniert von dem Schauspiel, das uns die Erde bietet", so der Freiburger.

Und anders als in dem Katastrophenfilm "Twister", der in den USA einen Boom der kommerziellen Veranstalter von Tornadotouren auslöste, halte man sich streng an die Sicherheitsregeln. Das Auto in Gewitternähe nicht verlassen, Vorsicht vor Aquaplaning: "Wir kennen die Gefahren." Trotzdem:

Die Interaktion der unterschiedlich warmen Luftmassen vor dem Blitz, das Entstehen von Wolkenformationen wie der turmhohen "Cumulonimben" - Stillahn kommt bei solchen Themen ins Schwärmen. Dass er auf seiner Homepage von Spannungen zwischen ihm und seiner Lebensgefährtin berichtet, wenn sie ins Kino und er Gewitter jagen will, ist ihm eher peinlich. "Es gibt Schlimmere als mich."

Womöglich ist Walter Stieglmair von dieser Sorte. Der Münchner zieht mit Spiegelreflexkamera und Camcorder los, wenn ein Gewitter aufzieht, wobei ihm die Filmaufnahmen besonders wichtig sind. "Wenn ich zum Beispiel einen Tornado sehe, könnte ein Foto gefaked sein. Nur ein Film ist ein Beweis." Auch in seinem Fall hat ein Hagelsturm in früher Kindheit die Begeisterung für die Wucht des Wetters geweckt.

Als Jugendlicher saß Stieglmair oft stundenlang auf seinem Posten, einem Stein inmitten eines Felds im flachen Westen von München, und hat den schwarz aufziehenden Wolken dabei zugeschaut, wie sie sich im letzten Moment geteilt haben und weggezogen sind. "Immer Richtung Starnberger See oder Dachau, es war zum Verzweifeln." Inzwischen lebt Stieglmair längst in einer strategisch günstigen Wohnung am Rand der Stadt, und von dort, sagt Stillahn, "fährt der Walter gern 'rein in die Gewitter".

Man kennt sich in der Szene, und Stieglmair ist für risikofreudige Touren bekannt. Sein Lieblingsthema: Die Superzelle, ein Gewittersystem, das durch besondere Aufwinde und Rotationsbewegungen spektakulär aussieht und mehr Wucht hat als andere Formationen. Der Himmel um eine Superzelle herum sei oft "wie blankgeputzt, weil sie alles in sich hereinzieht", sagt Stieglmair.

Er hat sich ein Auto mit Hagelschäden zugelegt, um in schwere Unwetter hineinzufahren, das Abprallen der Eiskörner zu fotografieren "und dieses Extremerlebnis zu genießen, ohne an mein Auto denken zu müssen" - bei der Superzelle ist er vorsichtig. "Da muss man sich fragen, ob man noch hineinfährt." Der Sog, möglicherweise Hagel in Tennisballgröße - wobei das, andererseits, der Moment ist, in dem Stieglmair sagt: "Ein Auto komplett aus Stahl, das wär's."

Berühmt bei den Chasern ist Stieglmair für die Fotos von Tornados am Starnberger See, einem in Deutschland nicht gerade häufigen Wetterphänomen. Es war am 17. September 2005, als er die Windhosen fotografierte und natürlich filmte. Heute sagt er darüber, und es klingt feierlich: "Das Ereignis hat mehr als 30 Minuten gedauert."

© SZ vom 11.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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