Stunk in der Hauptstadt:Berliner haben Pferdeäpfel satt

Lesezeit: 4 min

Pferdeäpfel auf den Straßen rund um das Brandenburger Tor? Das gab es schon immer. Früher haben die Leute damit ihre Tomaten gedüngt. Plötzlich aber stinken sie dem ein oder anderen.

Thorsten Schmitz

Scheißt ein Pferd, sagt man: Es äpfelt. Warum das so ist? Weil (wenn man ein bisschen Phantasie aufbringt) die Kotballen von Pferden an Äpfel erinnern. Im Sommer aber ist der Pferdemist "eher breiig", klärt Ludwig Zachmann auf. Läuft einer seiner Hengste auf einer Strecke, auf der er noch nie war, muss er allen anderen Hengsten zeigen, dass er da war, und "drückt alle fünf Minuten einen Knödel ab". Es gibt dann also eher viel Brei auf den Straßen ums Brandenburger Tor. Seit 1986 reitet Zachmann und fährt Kutschen. Er betrieb in der DDR einen Reiterhof, heute hat er sechs Touristen-Kutschen. Zachmanns Flotte steht am Brandenburger Tor.

Zwei Pferde einer Kutsche laufen an einem Stretchtrabant vor dem Brandenburger Tor vorbei. Viele verschiedene Fortbewegungsmittel werden an dem Berliner Wahrzeichen für touristische Städtetouren angeboten. (Foto: dpa)

Eine Nacht im Hotel de Rome nahe dem Gendarmenmarkt kann 1800 Euro kosten, wenn man die Historische Suite bestellt. Ferien im reinsten Luxus. An diesem Mittwoch, es ist früh am Vormittag, die Sonne heizt den Bebelplatz auf, die Gäste des Hotel de Rome kommen mit geschulterten Louis-Vuitton-Taschen vom Frühstück und setzen ihre Prada-Brillen auf, ließe sich auch davon sprechen: Ferien auf dem Bauernhof. Die Behrenstraße vor dem Hotel ist mit Pferdescheiße gepflastert.

Gerade eben ist eine Kutsche vorbeigekommen, gezogen von zwei Stuten. Eine hat, in Höhe von Hotel-Entrée und einem Parkverbotsschild, das "Be- und Entladen" unter Strafe stellt, ihren Schweif gehoben und dann doch entladen, was sie zuvor gefressen hat. Man kann es nicht anders sagen: Vor dem Hotel de Rome stinkt es. Die Sonnenstrahlen, die auf den dampfenden Haufen fallen, tun ihr Übriges.

Es ist Sommer, endlich, und die Touristen und die Rikschafahrer erkunden den Bauch von Berlin, also den Bebelplatz, das Brandenburger Tor, den Gendarmenmarkt. Es könnte so schön sein, aber: Es stinkt zum Himmel. Jägerstraße, Unter den Linden, Französische Straße, überall dasselbe: Braune Flecken auf dem schwarzen Asphalt, verursacht von Zugpferden, die Touristen für 42 Euro die halbe Stunde durch Mitte kutschieren. Im Winter, wenn die Pferdeäpfel gefrieren, sobald sie auf den Boden platschen, schert sich keiner um den Kot der Vierbeiner.

35 Euro und ein Punkt in Flensburg

Jetzt ist Sommer - und die Scheißschwaden machen Stunk. Erst vor wenigen Tagen wurde eine Kutschenfahrt von drei Streifenwagen des Ordnungsamtes abrupt gestoppt. Ein Wallach hatte "gekotet", wie es im Amtsdeutsch heißt, und der Fahrer der Kutsche die Sightseeingtour mit den Touristen aus Japan fortgesetzt, ohne den Mist zu entfernen. Unerbittlich ahndete die Äpfelpolizei die Verschmutzung, der Kutscher erhielt ein Bußgeld in Höhe von 35 Euro - und einen Punkt in Flensburg. Mehrere Politiker haben die nachrichtenarme Zeit genutzt und fordern nun: Stopp den Kutschen in Mitte!

Volker Strehlow leitet das Ordnungsamt Mitte. Er und seine 36 Streifenkollegen kontrollieren die 400.000 Bewohner von Mitte, Wedding und Tiergarten. "Das Beschwerdeaufkommen", sagt er, nehme zu: Touristen riefen an, die Pferdehaufen aus ihren Sohlen pulen müssten, Radfahrer berichteten von Rutschpartien auf Äpfelbergen, bei Regen sei das alles noch schlimmer. Die Verfolgungsjagd des Kutschers sei eine Ausnahme gewesen, sagt Strehlow, "denn in der Regel können wir ja nicht neben den Pferden stehen, warten, bis sie äpfeln, und dann die Bebußung vornehmen". Es sei eher ein Zufall gewesen, "dass die in dem Moment da waren, als das Pferd geschissen hat".

"Es gibt keine Rechtslage"

Die Rechtslage im Krieg der Äpfel sei leider so, "dass es keine Rechtslage gibt". Der Senat scheut sich vor einer einheitlichen Regelung für ganz Berlin. Am liebsten hätte es Strehlow, wenn die Droschkenfahrer ihren Hengsten und Stuten Windeln umbänden. "Doch zwingen können wir die nicht, nur appellieren." Dass die Kutscher bitte das tun, was in New York, Wien und Dresden auch praktiziert wird: Poohbags den Pferden um die Hintern legen, auf dass die Äpfel aufgefangen werden.

Der Chef vom Ordnungsamt gibt zu: "Ich habe drei Seelen in meiner Brust." Er will, dass es Mitte gutgeht, dass die Kutscher Geschäft machen. Aber (Seele Nr.2): "Das ist auch viel Stress für so ein Pferd, in der Sonne zu stehen, durch Abgase zu laufen. Pferde müssen auf eine Wiese." Seele Nr.3? "Die können auch nicht einfach auf der Straße anhalten und die Scheiße aufsammeln." Das, sagt Herr Strehlow in schönstem Ordnungsamtsduktus, "ist im Fließverkehr ja auch eine gefahrengeneigte Tätigkeit."

Kurz darauf, in der Glinkastraße, vor dem Friseursalon "Haargenau und schnittig", in dem auch Wellness-Behandlungen angeboten werden: eine Kutsche, Pferde, und ein Schweif, der sich hebt. Platsch, platsch, platsch. Es dampft, es beginnt zu stinken, behende springt der Kutscher vom Bock, nimmt Schaufel und Eimer, die am Kutschenhintern hängen, und schaufelt die Scheiße in den Eimer. Hinter ihm bildet sich ein Stau, niemand hupt, die Touristen im Wagen? Fotografieren den Äpfelbeseitiger. Sie kommen aus Israel. Augen haben sie nur für ihren Kutscher, nicht für den Mist vor ihren Füßen. "Was für ein heißer Kerl", sagt eine junge Israelin.

Der Kutscher fährt für Ludwig und Mandy Zachmann. Sie besitzen 16 Pferde, sechs Kutschen. Seit 1986 betreiben sie das Geschäft mit den Fiakern, schon zu DDR-Zeiten sind sie getrabt. "Damals", erinnert sich Ludwig Zachmann, "sind die Leute unseren Kutschen noch hinterhergelaufen, haben die Pferdeäpfel eingesammelt und damit ihre Tomaten und Erdbeeren gedüngt." Heute muss sich Zachmann was überlegen, um Herrn Strehlow und dessen Mitarbeiter zu besänftigen.

Von den Windeln hält er nichts, aus zweierlei Gründen: Die Pferdescheiße scheuere dann den ganzen Tag zwischen den Beinen der Hengste und könnte Verletzungen verursachen - und außerdem steche dann der Gestank genau in die Nasen der Touristen. Zachmann sagt von sich selbst: "Ich bin ein Mecklenburger Jung." Aufgewachsen auf dem Land, mit Pferden, das mag auch erklären, weshalb er einem fast die Hand bricht, als man sich fürs Gespräch auf einer Parkbank am Brandenburger Tor begrüßt.

LKW-Planen zu Pferdewindeln

So ein Mecklenburger Jung lässt sich vom Ordnungsamt natürlich nicht einschüchtern. Zachmann versteht zwar nicht, wie die beliebteste Touristenstadt der Welt erschüttert werden kann durch ein paar Pferdehaufen. Er erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Spatzen, die gerne in den Stutenäpfeln herumpickten. Aber er ist auch an einem Frieden interessiert. Also hat Zachmann einen Sattler beauftragt, einen Auffangsack zu entwickeln.

Der Prototyp aus Lkw-Planen wird gerade ausprobiert, an seiner grünen Kutsche. Die Scheiße fällt jetzt in einen schultütenartigen Trichter, tief genug, um nicht bei der Fahrt zu stinken, und weit genug von Pferdebeinen weg, um sie nicht zu reizen. Es gebe noch ein paar geringfügige Veränderungen zu berücksichtigen, zum Beispiel soll in den Trichter noch ein zweiter Plastiksack, der sich dann ganz leicht entsorgen ließe. Schon in ein paar Wochen sollen alle seine sechs Kutschen mit dem Auffangsack ausgestattet sein. "Dann", hofft Zachmann, "ist endlich Ruhe mit der Scheiße."

© SZ vom 28.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: