Süddeutsche Zeitung

Studie zur Lebensmittelindustrie:Die Hälfte aller Nahrungsmittel landet im Müll

Gurken, die nicht der Norm entsprechen, halb aufgegessene Pizzen, schrumpeliges Gemüse: Weltweit werden einer neuen Studie zufolge jährlich bis zu zwei Milliarden Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Das wäre ungefähr die Hälfte aller Lebensmittel - und genug, um drei Milliarden Menschen zu ernähren.

Von Lena Jakat

Der angebrochene 500-Gramm-Becher Joghurt, die Banane, die am einen Ende schon ganz dunkelbraun ist oder die Reste, die vor dem dreiwöchigen Asien-Trip noch im Kühlschrank herumliegen: Nahrungsmittel wegzuwerfen, auch wenn sie vielleicht noch genießbar wären, ist fester Bestandteil unseres Konsumverhaltens. 82 Kilogramm im Gegenwert von 235 Euro wirft jeder Deutsche pro Jahr durchschnittlich in die Tonne. Das hatte im Frühjahr 2012 eine aufsehenerregende Studie des Verbraucherschutzministeriums ergeben.

Doch viele Lebensmittel erreichen unsere Kühlschränke nicht einmal. Insgesamt 1,2 bis zwei Milliarden Tonnen aller weltweit produzierten Nahrungsmittel landen Jahr für Jahr im Abfall: Weil die Ernte auf Feldern verfault, wo Transportwege fehlen. Weil Gemüse nicht den Standards entspricht. Weil Supermärkte nur allerfrischeste Ware einkaufen. Und weil Lebensmittel vom Discounter immer wieder vom Kühlschrank in die Tonne wandern. Insgesamt werden so etwa 30 bis 50 Prozent aller Lebensmittel weggeschmissen.

Diese Zahl steht in einer aktuellen Untersuchung im Auftrag der traditionsreichen britischen Branchenverbandes Institution of Mechanical Engineers. Die Ingenieursgesellschaft wurde 1847 gegründet und setzt sich für die Belange seiner Mitglieder ein. Für den Umweltschutz bedeute das, Wirtschaftswachstum zu fördern, "während wir uns den Herausforderungen des Klimawandels, des Bevölkerungswachstums und des Verschwindens natürlicher Ressourcen anpassen", heißt es auf der Webseite des Verbands. "Wir müssen Abfall, Verschmutzung und unsere Auswirkungen auf unsere Umwelt minimieren."

Der Bericht "Global Food. Waste Not, Want Not" kommt zwei Jahre nach der deutschen Erfolgsdokumentation "Taste the Waste". Während dieser Film 2011 viele Tausend Kinozuschauer aufgewühlt hatte und auch die Studie zum Wegwerf-Verhalten der Deutschen aus dem Bundesverbraucherschutzministerium 2012 das Thema Nahrungsmittelverschwendung kurzfristig wieder auf die Agenda hob, war die Problematik in den vergangenen Monaten zunehmend aus der öffentlichen Debatte verschwunden.

Die Studie des britischen Ingenieursverbandes bestätigt damit in etwa Zahlen der Welternährungsorganisation FAO von 2011. Die UN-Organisation hatte in ihrem Bericht "Global food losses and food waste" vor zwei Jahren die weltweit weggeworfenen Lebensmittel auf 1,3 Milliarden Tonnen beziffert - genug, um drei Milliarden Menschen zu ernähren, wie die Aktivistin Selina Juul in Bezug auf den FAO-Bericht vorrechnet.

Die UN-Zahlen zeigten damals deutlich, dass der Anteil der Verbraucher am anfallenden Nahrungsmittelmüll wächst, je größer der Wohlstand eines Landes ist. So entsorgen laut FAO in Europa und Russland die Konsumenten durchschnittlich 95 Kilogramm pro Kopf und Jahr, die Lebensmittelindustrie 186 Kilogramm. In Süd- und Südostasien werden privat nur elf Kilogramm jährlich weggeworfen, in der Industrie fallen dagegen 114 Kilogramm Abfall an. Eine Karte des Greenpeace Magazins zeigt diese Unterschiede klar auf.

Die Verfasser der jüngsten Studie aus Großbritannien haben obendrein berechnet, dass 550 Milliarden Kubikmeter - oder 550 Billionen Liter - Wasser für den Anbau von Getreide verwendet werden, das nie den Verbraucher erreicht. Laut der Institution of Mechanical Engineers könnte der weltweite Wasserbedarf in der Lebensmittelproduktion bis 2050 auf bis zu 13 Billionen Kubikmeter - oder 13 Billiarden Liter - Wasser steigen. Das ist dreieinhalb Mal mehr als der aktuelle globale Frischwasserverbrauch beziehungsweise mit 13.000 Kubikkilometern der Rauminhalt des volumenmäßig zweitgrößten Süßwassersees der Erde, des Lake Superior in Nordamerika.

Tim Fox von der Institution of Mechanical Engineers sagte zu den Ergebnissen: "Die Gründe dafür reichen von schlechter Ingenieursarbeit und mangelhafter Landwirtschaftstechnik über unangemessene Transport- und Lager-Infrastrukturen bis hin zu der Tatsache, dass Supermärkte optisch makellose Produkte verlangen und Konsumenten mit 'Zwei-für-einen-Preis'-Angeboten dazu verleiten, zu viel einzukaufen."

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