Süddeutsche Zeitung

Studie kratzt an Mythos Mutter Teresa:"Alles, nur keine Heilige"

Beten statt helfen: In einer Studie üben Forscher beißende Kritik an der Friedensnobelpreisträgerin und Ordensfrau Mutter Teresa. Die Spendenkonten ihres Ordens seien intransparent verwaltet worden. Im Leiden anderer soll sie auch Schönes gesehen haben.

Von Tobias Matern

Nach ihrem Tod hat Papst Johannes Paul II. die Seligsprechung so schnell eingeleitet wie niemals zuvor. "Ihre Seele war gefüllt mit dem Licht Christi, sie brannte vor Liebe für ihn", schreibt der Vatikan in der Biografie über Mutter Teresa. Die Ordensschwester habe ihr gesamtes Leben den Ärmsten der Armen gewidmet, als Missionarin Gottes habe sie vom indischen Kalkutta aus seine Barmherzigkeit in die ganze Welt getragen. In Indien erhielt die 1910 im heutigen Skopje geborene Mutter Teresa nach ihrem Tod im Jahr 1997 ein Staatsbegräbnis, die ganze Welt nahm Anteil. Die Friedensnobelpreisträgerin wird auch heute noch für ihr Wirken verehrt, obwohl sie schon zu Lebzeiten Kritik auf sich gezogen hatte - etwa wegen ihrer kompromisslosen Haltung zum Thema Abtreibung. Diese sei ein "direkt von der Mutter begangener Mord", befand die Christin einst.

Dieses Zitat ist nur eines von vielen Ausgangspunkten für die beißende Kritik in einer neuen Studie, die sich mit dem Leben Mutter Teresas beschäftigt: Drei kanadische Wissenschaftler haben es sich zum Ziel gesetzt, dem Mythos die Realität entgegenzusetzen. Mutter Teresa sei alles gewesen, "nur keine Heilige", befinden die Akademiker in der Zusammenfassung ihrer Studie, die demnächst in dem zweisprachigen Fachblatt "Studies in Religion/Sciences religieuses" erscheinen wird. Die drei Wissenschaftler der Universitäten von Montréal und Ottawa werfen dem Vatikan vor, im Zuge der Seligsprechung Mutter Teresas eine Reihe von Problemen außer Acht gelassen zu haben, etwa ihre "fragwürdige Art, sich um Kranke zu kümmern".

So zitieren sie den für seine bisweilen etwas einseitigen Thesen bekannten Journalisten Christopher Hitchens, dem Mutter Teresa einmal gesagt haben soll: Im Leiden der Armen liege auch "eine Schönheit", die an das Leiden Christi erinnere. Am Ende ihres Leben habe sie hingegen ihr eigenes Leid mit Hilfe palliativer Methoden lindern lassen. Noch schwerer wiegt aber der nun erhobene Vorwurf der Wissenschaftler, dass unter der Führung Mutter Teresas Spendeneinnahmen wenig transparent verwaltet worden seien. Angesichts der sparsamen Informationspolitik und der Konten, die im Verborgenen geblieben seien, stelle sich die Frage, wo die "Millionen von Dollar geblieben sind, die für die Ärmsten der Armen geblieben sind".

Mutter Teresas "Wunder" längst von Ärzten widerlegt

Im Jahr 1950 wurde der von Mutter Teresa geleitete Orden "Missionarinnen der Nächstenliebe" in Kalkutta gegründet, dessen Ziel es nach eigener Darstellung ist, den "Ärmsten der Armen aus ganzem Herzen und ohne Gegenleistung" zu dienen. Heute gehören der Kongregation etwa 5000 Schwestern in über 700 Häusern weltweit an. Der Orden unterhält Heime für Sterbende, Lepra- oder Aidskranke, Obdachlose und Kinder, auch in Deutschland gibt es Niederlassungen. Mutter Teresa hat die Arbeit des Ordens einst so beschrieben: "Wir sind nicht Sozialarbeiter, sondern Kontemplative im Herzen der Welt". Ein Anruf bei einer Vertretung der Missionarinnen der Nächstenliebe brachte nichts ein: eine Frau erklärte am Telefon, man werde sich zu der Studie nicht äußern.

502 Dokumente und Publikationen haben die Wissenschaftler über das Leben Mutter Teresas gesichtet und nach Abzug doppelter Texte 287 davon ausgewertet. Das von ihnen gesichtete Material mache 96 Prozent aller verfügbaren Literatur über die Ordensschwester aus, behaupten sie, ohne dies genauer zu erläutern. Dennoch kommen sie zu einer eindeutigen These: Der Vatikan habe den Prozess zur Seligsprechung Mutter Teresas mit Hilfe einer PR-Kampagne auf den Weg gebracht. Das dafür erforderliche Wunder, das sie an einer Frau vollbracht habe, sei später von Ärzten widerlegt worden, so die Wissenschaftler.

Trotz der Kritik gewinnen die Akademiker dem Wirken der Ordensschwester aber zumindest auch eine positive Seite ab. Das Bild, das in der Öffentlichkeit von ihr gezeichnet werde, habe dazu beigetragen, humanitäre Helfer zu motivieren, die sich ohne religiöse Scheuklappen dem Leid armer Menschen gewidmet hätten. Dennoch, befinden die Autoren, bleibe ein Makel. Die Medien hätten sich nie darum bemüht, ein weniger einseitiges Bild über Mutter Teresa zu zeichnen.

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SZ vom 08.03.2013/kad/vs
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