Süddeutsche Zeitung

Studie in den USA:Zahl der Amokläufe steigt

Newtown, Aurora, Blacksburg: Das FBI hat Amokläufe in den USA untersucht. Ergebnis: Es gibt immer mehr Opfer. Die Täter sind meist männlich und handeln allein.

Von Anna Fischhaber

Kurz nach Beginn der Vorstellung betritt der 24-jährige Student James Holmes den Kinosaal Nummer 9 und eröffnet das Feuer auf die Zuschauer. Zwölf Menschen sterben, mehr als 50 werden verletzt. Bei Freunden galt Holmes als intelligent und introvertiert. Der Massenmörder von Aurora war unauffällig - bis er 2012 in einem Kino im US-Bundesstaat Colorado ein Blutbad anrichtete.

Wenige Monate später, nur zehn Tage vor Weihnachten, erlebt Amerika das nächste Massaker. In Newtown im US-Bundesstaat Connecticut ereignet sich einer der schlimmsten Amokläufe der US-Geschichte. Der 20-jährige Adam Lanza erschießt am 14. Dezember 2012 zunächst seine Mutter und tötet dann an der Sandy-Hook-Grundschule 20 Kinder und sechs Lehrkräfte. Anschließend richtet er sich selbst.

"Unser Land hat zu viele solcher Tragödien in den vergangenen Jahren erlebt", erklärte Präsident Barack Obama danach. "Wir müssen etwas unternehmen, um solche Tragödien in Zukunft zu verhindern." Schon damals gab es die Befürchtung, die Zahl der Amokläufe in den USA sei gestiegen. Nun hat das FBI erstmals eine Statistik vorgelegt, die die Annahme bestätigt. "Das ist alarmierend", erklärte FBI-Vizedirektor James Yacone bei der Vorstellung der Studie, die erschreckende Zahlen liefert:

  • Die Zahl der Amokläufe ist der FBI-Studie zufolge von durchschnittlich 6,4 pro Jahr (von 2000 bis 2006) auf 16,4 (von 2007 bis 2013) gestiegen. Die Bundespolizei hat insgesamt 160 Zwischenfälle, bei denen Privatpersonen zwischen 2000 und 2013 in den USA in eine Menschenmenge schossen, untersucht. Andere Schießereien - etwa im Drogen- oder Gangmilieu - berücksichtigt die Studie nicht.
  • Insgesamt gab es bei den 160 Schießereien 1043 Opfer - alte und junge Menschen, Männer und Frauen. 486 von ihnen starben, 366 allein in den vergangenen sieben Jahren.
  • In der großen Mehrheit der Fälle waren die Täter männlich (154) und agierten allein (158), wie beim schlimmsten Angriff dieser Art auf dem Campus der Technischen Hochschule von Virginia. 2007 tötete der 23-jährige Student Cho Seung-hui in Blacksburg 32 Menschen und verletzte 29.
  • Cho Seung-hui erwähnte in seiner Erklärung auch die Attentäter des Massakers an der Columbine-Highschool von 1999. FBI-Vizedirektor James Yacone warnt nun ausdrücklich davor, dass immer mehr Täter durch vorherige Angriffe inspiriert würden. Viele Täter zögen ihre Motive "aus einer Faszination für vorangegangene Massenmord-Vorfälle".
  • In neun Fällen erschoss der Schütze der Studie zufolge zunächst ein oder mehrere Familienmitglieder und begab sich dann an einen öffentlichen Ort, wie beim Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule.
  • Die Mehrheit der Schießereien ereignete sich in Geschäften oder Büros (73), gefolgt von Erziehungseinrichtungen (39).
  • Bei Amokläufen in Schulen war der Schütze oft selbst dort Schüler. Das trifft auf 12 der 14 Täter an Highschools zu. Bereits nach dem Amoklauf an der Columbine-Highschool hatten Wissenschaftler gemeinsam mit dem FBI herausgefunden, dass es den typischen "Schul-Amokläufer" aber nicht gibt: Die Täter haben dieser Studie zufolge alle möglichen soziodemografischen Hintergründe; manche waren Einzelgänger, andere nicht; manche wurden schikaniert, andere waren selbst Aggressoren.
  • Mehr als die Hälfte der 160 Zwischenfälle (90) zwischen 2000 und 2013 endeten, weil der Schütze Suizid beging, die Schießerei beendete oder flüchtete. In 21 Fällen konnten unbewaffnete Bürger den Täter überwältigen.
  • Neun Beamte wurden bei Einsätzen erschossen und 28 verletzt. Ziel der FBI-Studie war es auch, dass sich Strafverfolgungsbehörden künftig besser auf Amokläufe vorbereiten können. Die Untersuchung zeigt allerdings, dass 60 Prozent der Schießereien beendet waren, bevor die Polizei überhaupt eintraf. Das FBI fordert deshalb, dass auch Zivilisten auf solche gefährlichen Situationen vorbereitet werden - etwa durch spezielle Trainings.

Am besten sei es natürlich, so heißt es am Ende der Studie, solche Tragödien ganz zu verhindern. Um strengere Waffengesetze geht es allerdings nicht. Dabei befinden sich schätzungsweise etwa 300 Millionen Schusswaffen in US-Privathaushalten. Nach dem Massaker von Newtown flehten Eltern der Opfer Politiker an, die Waffengesetze zu verschärfen. Getan hat sich bisher wenig.

Erst kürzlich, am 10. Juni 2014, gab es erneut eine Schießerei in einer Schule. In der Reynolds Highschool in Troutdale nahe Portland zielte ein Mann mit einem Gewehr auf einen 14-Jährigen. Der Junge starb. "Wir sollten uns dafür schämen. Wir sind das einzige entwickelte Land der Welt, in dem so etwas passiert, und es passiert jetzt einmal in der Woche", sagte Obama danach. Sein Land müsse sich in der Frage der Waffengesetze einer "Gewissenserforschung" unterziehen, es sei die "größte Enttäuschung" seiner Präsidentschaft, dass bislang nicht einmal eine leichte Verschärfung des Waffenrechtes erreicht worden sei.

Linktipp: Die komplette Studie finden Sie hier.

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