Süddeutsche Zeitung

Stromausfall in Köpenick:Berliner Improvisation

  • Ein bei Bauarbeiten beschädigtes Starkstromkabel ist der Grund dafür, dass im Berliner Südosten 30 000 Haushalte ohne Strom sind.
  • Weil Heizungen, Beleuchtung und Teile des öffentlichen Nahverkehrs in der Folge ausfallen, ist etwas gefragt, wofür Berlin bekannt ist: Improvisationskunst.
  • Nach Angaben des Stromkonzerns Vattenfall soll eine Vollversorgung erst in den späten Abendstunden wieder gegeben sein.

Von Verena Mayer, Berlin

Zu den großartigsten Eigenschaften der Berliner gehört es, in Momenten des Chaos die Ruhe zu bewahren. Man hat sogar den Eindruck: Je schwieriger eine Situation, desto gelassener werden die Bewohnerinnen und Bewohner der Hauptstadt. Das war einmal mehr an den vergangenen beiden Tagen zu beobachten. Da hatten 31 000 Haushalte und 2000 Gewerbebetriebe in Köpenick im Südosten der Stadt keinen Strom. Bei Bauarbeiten war am Dienstag eine wichtige Hochspannungsleitung getroffen worden. Die Stadt erlebte dadurch den größten Blackout der vergangenen Jahre.

In Tausenden Wohnungen liefen die Heizungen nicht mehr, Mobilfunk und Festnetz nur eingeschränkt. Busse und Straßenbahnen mussten ihren Betrieb einstellen, Menschen blieben in Fahrstühlen stecken. Und am Abend war es dann auch noch zappenduster, weil die Straßenbeleuchtung nicht anging. Selbst die Turmuhr des Rathauses Köpenick blieb stehen. An ihr ließ sich auch ablesen, wann genau der Strom ausfiel: um 14.10 Uhr.

Berliner Improvisationskunst

Doch die Berliner taten das, was sie in Ausnahmesituationen immer schon getan haben, weil Ausnahmesituationen zur Geschichte der Stadt gehören wie die Luftbrücke oder die Berliner Mauer: Sie improvisierten. Die Berliner Polizei richtete provisorische Wachen ein und fuhr mit Streifenwagen durch den Bezirk, um etwa Läden zu überwachen, an denen die Alarmanlagen ausgefallen waren. Der Verkehr wurde manuell geregelt, wo die Ampeln nicht mehr funktionierten.

Die Feuerwehr bildete einen Krisenstab, um im Klinikum Köpenick den Betrieb aufrechtzuerhalten. Zwar hat das Krankenhaus eine Notstromversorgung, das Licht flackerte aber auch hier. Operationen wurden verschoben, 23 Patienten in andere Einrichtungen verlegt. Die Intensivversorgung lief einer Sprecherin zufolge aber weiter. Am Mittwoch waren dann Schulen, Kitas und die meisten Läden in Köpenick geschlossen. Ein Gymnasium wurde in eine Art Wärmestube verwandelt, mit Feldbetten, Schnittchen und Getränken.

Fehler der Baufirma

Auch an anderen Anlaufpunkten konnte man sich aufwärmen oder zumindest das Handy aufladen. Die Bewohner Köpenicks taten das Ihre, um mit der Situation klarzukommen. Sie gingen mit Taschenlampen einkaufen, legten sich Kerzen und Streichhölzer zu und wickelten sich zu Hause in Decken. Sie baten Freunde aus anderen Stadtteilen, sie auf dem Laufenden zu halten, und überall in den Häusern brannten Kerzen. "Wie an Weihnachten", erzählte eine Anwohnerin. Nur auf den dunklen Straßen sei es gespenstisch gewesen. Mehr Notrufe habe es der Berliner Polizei zufolge aber nicht gegeben, was für den Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) daran lag, "wie besonnen" die Bevölkerung mit dem Stromausfall umgegangen sei.

Inzwischen ist auch klar, wie es zu dem Blackout kam. An der Salvador-Allende-Brücke musste gebohrt werden, und die zuständige Baufirma habe sich nicht vorab über den Verlauf der Stromleitungen informiert, so die Sprecherin für das Stromnetz Berlin. Nun würde jeder, der zu Hause eine Schraube in die Wand dübelt, gucken, wo die Stromleitungen verlaufen, aber bei Bauprojekten in der Hauptstadt ist nichts selbstverständlich. Auch das gehört zu Berlin. Jedenfalls wurden sowohl das Haupt- als auch das Ersatzkabel beschädigt, da kämen mehrere "unglückliche Komponenten zusammen", so die Stromnetz-Sprecherin. Man werde die Firma in Haftung nehmen, die betroffenen Stromkunden werden mit 20 Euro entschädigt. Erwartet wurde, dass der Strom erst am Mittwochabend wieder vollständig fließt, der Stromkonzern Vattenfall sprach von "komplizierten Tiefbau- und Reparaturarbeiten".

Zumindest eines aber funktioniert in Berlin zuverlässig: der Humor. "Strom. In Teilen von Berlin ein Statussymbol", schrieb eine Nutzerin auf Twitter, und die Berliner Polizei wies noch "aus Gründen" auf die beliebtesten Babynamen hin: Mia und Ben.

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Quelle:
SZ vom 21.02.2019
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