Süddeutsche Zeitung

Strenge US-Richter:Schandlaufen vorm Supermarkt

US-Richter stellen Straftäter zunehmend an den Pranger. Ein eigenes Wort, Creative Sentencing, ist für den Trend längst gefunden. Und manche Richter sind wegen ihres Einfallsreichtums beim Strafmaß bereits berüchtigt.

Reymer Klüver

Am vorigen Wochenende musste Lisa King Fithian wieder zum Walmart-Supercenter von Attala. Nicht zum Shoppen, und Arbeit hat sie dort auch nicht. Vier Stunden verbrachte die stämmige Frau von 46 Jahren in Shorts und Turnschuhen dort. Genauer gesagt: Vier Stunden stapfte sie zur besten Einkaufszeit, von 11 bis 15 Uhr, auf dem Parkplatz vor dem Billigladen auf und ab - dabei trug sie ein riesiges Schild um den Hals: ,,Ich bin ein Dieb, ich habe bei Walmart gestohlen.''

Zu dieser Strafe hatte sie der örtliche Richter von Gadsden verurteilt, einer ziemlich trostlosen Industriestadt im Nordosten von Alabama. Er hatte ihr die Wahl gelassen: 60 Tage Gefängnis, weil sie Waren im Wert von sieben Dollar gestohlen hatte, oder zwei Mal vier Stunden Schandlaufen vor dem Walmart.

,,Das ist eine Art gemeinnütziger Dienst'', sagt Richter Kenneth Robertson, der außer Ladendieben am häufigsten Delinquenten wegen Trunkenheit am Steuer und häuslicher Gewalt aburteilt. ,,Sie hilft der Gemeinschaft, das ist gar keine Frage. Es wird jemanden abschrecken.'' Er will solche Strafen jetzt regelmäßig verhängen.

,,Creative Sentencing'' heißen derlei Schuldsprüche in der Sprache der US-Juristen. Sie sind nicht selten in den USA und gewiss auch nicht unumstritten. Auf jeden Fall sind sie mehr geworden in den vergangenen Jahren, seitdem der Oberste Gerichtshof 2004 die Richter des Landes ermutigt hat, flexibler zu urteilen - das sagt jedenfalls Aya Gruber, eine Professorin an der Florida International University in Miami.

Straftäter einem Schwein unterwegs

Der Soziologe Amitai Etzioni, seit langem einer der prominentesten Verfechter solcher Schuldsprüche, glaubt an die Macht der Scham und empfiehlt beispielsweise ganz ernsthaft, Ersttätern im Dealermilieu den Kopf zu scheren und sie ohne Hose nach Hause zu schicken.

Beweise für die abschreckende Wirkung solcher Strafen gebe es nicht, konstatiert dagegen nüchtern die Juristin Gruber. Nachweise fehlten, dass die Rückfallquote bei Straftätern wirklich gesenkt werde. Und ihr Kollege Dan Markel fasst wohl die Mehrheitsmeinung der Juristen in den USA Zusammen: ,,Öffentliche Schande schadet den Straftätern, das haben Studien gezeigt. Und solche Urteile erniedrigen uns alle.''

Doch diese auf den ersten Blick merkwürdig anmutenden Strafen sind keineswegs nur die Einfälle sadistisch veranlagter Juristen. Mit ihnen wollen Richter vielfach auch gegen eine Tendenz in der amerikanischen Rechtsprechung zu immer drakonischeren Gefängnisstrafen selbst bei geringfügigen Tatbeständen angehen.

Es sind vor allem Ortsrichter wie Kenneth Robertson, die solche Strafen verhängen. ,,Alkoholisierte Fahrer kann ich zum Entzug schicken, Schläger in Anti-Aggressions-Seminare'', sagt er, bei Ladendieben habe er sich eben etwas einfallen lassen. Richter an Bundesgerichten könnten das gar nicht, weil ihnen der Ermessensspielraum nicht bleibt.

Manche der Richter sind inzwischen wegen ihres Einfallsreichtums berüchtigt. Michael Cicconetti zum Beispiel aus Painesville in Ohio macht regelmäßig Schlagzeilen. Im November verurteilte er eine Frau zu einer Nacht allein im Wald, weil sie dort 35 Kätzchen ausgesetzt hatte. Vor ein paar Jahren hatte er einen Mann, der einen Polizisten als Schwein beschimpft hatte, mit einer Sau durch die Straßen des Ortes ziehen lassen - auf einem Schild, das er tragen musste, stand: ,,Dies ist kein Polizist.''

Der Manager des Walmart in Attala übrigens findet die Idee seines Richters gut. Er hoffe, dass dies andere potentielle Ladendiebe abschrecke, sagte Neil Hawkins der örtlichen Zeitung, ,,vielleicht denken sie jetzt ja zweimal darüber nach''. Vier Schilder, so berichtet die Gadsden Times, habe die Walmart-Filiale für weitere Delinquenten schon eingelagert. Die meisten Leser auf den Internetseiten der Zeitung nahmen die Sache ebenfalls beifällig auf.

,,Besser ein Schild um den Hals, als eine Hand abgehackt zu bekommen'', lautete einer der eher harmlosen Kommentare. Und ein Leser schrieb, den Walmart-Kunden würde es sicherlich auch gefallen, wenn demnächst Walmart-Manager mit Schand-Schildern um den Hals vor ihren Filialen auf- und abgehen müssten, auf denen stehen könnte: ,,Ich nehme meinen Kunden regelmäßig zu viel Geld ab.''

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SZ vom 16.05.2007
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