Streit unter Amish in den USA:Beim Barte des Propheten

Haarige Fehde: Die Amish-Sekte ist für ihre Friedfertigkeit und Autonomie von der modernen Zivilisation bekannt. Eigentlich: Denn nun schockiert eine skurrile Serie von Bartraub die Gottesfürchtigen in Ohio - und plötzlich stehen mehrere Glaubensbrüder vor einem ganz und gar weltlichen Gericht.

Reymer Klüver, Washington

Es ist wieder so eine der bizarren Geschichten, wie sie Amerika regelmäßig hervorbringt. Ein Land, das Spinner aller Art duldet - sofern sie sich nichts zu Schulden kommen lassen. Und so ist die Geschichte von erwachsenen Männern, die sich aus Rache für vermeintlich erlittenes Unbill mit Gewalt die Vollbärte rasieren, an sich zwar kurios, aber angesichts all der Verrücktheiten, die aus irgendeiner Ecke des Riesenlandes gemeldet werden, nicht weiter auffällig.

Sam Mullet

Er soll Mitglieder seiner Glaubensgemeinschaft zum Bartraub angestiftet haben: Sam Mullet, Gründer einer Amish-Splittergruppe.

(Foto: AP)

Bemerkenswert ist indes, dass aus der Fehde inzwischen eine juristische Affäre geworden ist und ein paar der Übeltäter hochoffiziell des Einbruchs und der Entführung angeklagt sind und vielleicht für Jahre ins Gefängnis müssen. Der Sheriff jedenfalls hat sie nur gegen eine Kaution von 50.000 Dollar wieder aus der Untersuchungshaft entlassen.

Sie tragen Vollbart, mit Stolz

Die Angelegenheit spielt innerhalb der Amish-Gemeinde im US-Bundesstaat Ohio, einer Gruppe fundamentalistischer mennonitischer und eigentlich friedliebender Christen, die sich, so gut es geht, von der Außenwelt abkapseln. Sie stehen jeder Art von Fortschritt skeptisch gegenüber. Statt Autos benutzen sie Pferdefuhrwerke, und Strom kommt ihnen nicht ins Haus. Schon gar nicht zum Rasieren: Die Männer tragen Vollbärte, auf die sie sehr stolz sind.

Am 3. Oktober drangen abends fünf Männer in das Haus von Myron Miller ein, einem führenden Mitglied der Amish-Gemeinde in Carrollton, einem Städtchen im Osten Ohios, warfen ihr Opfer zu Boden und schnitten ihm mit Schere und Elektrorasierer die Bartpracht ab. Miller wehrte sich nicht, aber er brachte die Übeltäter, die er erkannt hatte, vor Gericht.

Das ist unüblich unter Amish-Leuten, die ihre Angelegenheiten gemeinhin unter sich regeln. Doch die Schmach war offenkundig zu viel. "Wir meiden staatliche Gerichte, denn wir glauben nicht an Rache", sagt Millers Ehefrau Arlene. "Aber hier geht es nicht um Rache. Wir ziehen vor Gericht, damit unsere Glaubensbrüder Hilfe bekommen."

Kurz zuvor war einem 74-Jährigen Bischof der Gemeinde Carollton ebenfalls der Bart rasiert worden, und in einer Nachbargemeinde hatten die Täter im September einem Mann den Bart abgenommen und seine Frau kahl rasiert. "Normalerweise halten wir die andere Wange hin", sagt Arlene Miller. Diese Vorfälle seien aber "völlig verdreht und bizarr".

Hintergrund der Überfälle dürfte ein Konflikt mit einer Splittergruppe der 61.000 Amish in Ohio sein, der Bergholz-Gemeinde. Deren 120 Mitglieder leben getrennt von den anderen Amischen und gehören nicht zu ihrem Bund. Ihr Anführer Sam Mullet ist offenbar in der Vergangenheit mit Härte gegen abtrünnige Mitglieder vorgegangen.

Als einer seiner eigenen Söhne die Gemeinde verlassen wollte, hatte ihm eines der Bartopfer geholfen: Myron Miller. Unter den fünf Verdächtigen sind zwei Söhne Mullets. Bei einem ihrer Überfalle, so gab der örtliche Sheriff zu Protokoll, hätten sie ihr Motiv verraten: "Wir sind hier", riefen sie, "um für Sam Mullet Rache zu üben".

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