Streit um Karlheinz Böhms Erbe:Menschen gegen Menschen

'Menschen für Menschen' Karlheinz Böhm

Karlheinz Böhms (Archivbild) Stiftung wäre im Streit mit einem Großspender mit einer Schlichtung einverstanden

(Foto: dpa)

Auf dem Spiel steht sein Lebenswerk: Karlheinz Böhm finanzierte mit "Menschen für Menschen" 30 Jahre lang Hilfsprojekte in Äthiopien. Nun befindet sich seine Stiftung in einem bizarren Streit mit einem Großspender - alle Vermittlungsversuche sind bisher gescheitert.

Von Stefan Klein

Die Absage von Jürgen Wagentrotz kam per Mail, und sie kam wieder einmal in Form einer Salve. Der Mann hat, wenn er schreibt, seinen ganz eigenen Duktus. Er formuliert kurze, knappe Sätze und fängt sie jeweils mit den gleichen Worten an. Sie lesen sich, als würde man einen scharfen Trommelwirbel hören - oder ratternde Stöße aus einem Maschinengewehr.

Zur eigentlichen Sache kam der ehemalige Großspender Wagentrotz erst gegen Ende seiner Mail. Er sei bereit, sich in dem Konflikt mit der humanitären Stiftung "Menschen für Menschen" (MfM) einem Schlichter zu stellen - allerdings nur, wenn MfM bereit sei, 6,5 Millionen geleisteter Spenden an ihn, Wagentrotz, zurückzuzahlen. Den vorgeschlagenen Schlichter, den ehemaligen Bundesminister für Städtebau und Verkehr, Wolfgang Tiefensee, lehne er ab.

Es war eine unerfüllbare Bedingung, und damit war gescheitert, was sich nach einem Aufruf der SZ zur Vermittlung zunächst vielversprechend angelassen hatte. Mehr als ein Dutzend berufliche Mediatoren meldeten sich, aus der Politik kam ein Anruf von Wolfgang Tiefensee. Der ist erfahrener Schlichter und hat eine Beziehung zu Äthiopien. Die Stadt Leipzig, wo er Oberbürgermeister war, ist mit der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba verschwistert.

Auf die Schiene gesetzt wurde der Schlichtungsversuch dann von Tiefensees SPD-Parteifreund, dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, der "Menschen für Menschen" als Kuratoriumsmitglied verbunden ist, an der Kontroverse aber bislang nicht beteiligt war. Allerdings fühlt sich der OB inzwischen herausgefordert, weil er den Konflikt mit wachsender Sorge verfolgt und um das Lebenswerk von Karlheinz Böhm fürchtet. In einer Mail an den Unternehmer Wagentrotz schrieb er, Almaz Böhm, die Ehefrau von Karlheinz Böhm und als Stiftungsvorsitzende seine Nachfolgerin, sei zu dem Vermittlungsversuch unter der Leitung von Tiefensee bereit. Nun stelle sich die Frage, ob auch Wagentrotz dazu bereit sei.

Die mit Vorwürfen und Anklagen gespickte Absage folgte auf dem Fuße. Was er las, sagt Ude, habe ihn "teilweise fassungslos" gemacht. Zum Beispiel der Satz: "MfM gehört den Spendern." Deutlicher, findet Ude, könne man nicht zum Ausdruck bringen, dass sowohl die Menschen in Äthiopien als auch der Zweck und die Zielsetzung der Stiftung keine Rolle spielten. Die Linie sei vielmehr: "Wer zahlt, soll anschaffen können."

Oder die an Almaz Böhm gerichtete Forderung, Auskunft zu geben, wie es dem an Alzheimer erkrankten Karlheinz Böhm gesundheitlich gehe und ob er medizinisch richtig versorgt werde. Ude: "Hier scheint jemand zu glauben, dass ihn die Höhe seiner Spenden zum Familienmitglied macht und dass er den tatsächlichen Familienmitgliedern sogar Vorschriften machen darf."

Warum? Warum tut einer das?

Ude, der die Familie Böhm seit Langem kennt, erinnert sich daran, dass Karlheinz Böhm ihm einst selbst gesagt hat, dass er im Falle von Pflegebedürftigkeit "abgeschirmt und abgelöst" werden wolle und den Wunsch habe, dass seine Frau die Arbeit "in seinem Sinne" fortsetze. Ude nennt das einen "legitimen Wunsch", im Übrigen sei es allein Sache des Ehepaars Böhm und gehe niemanden etwas an, ihn ebenso wenig wie Wagentrotz.

Doch der meint offenbar, ein Recht darauf zu haben, informiert zu werden. Ein mit der Sache vertrauter Anwalt, der nicht genannt werden will, sieht darin Parallelen zu Fällen von Stalkern. Zugrunde liegt dem Phänomen Stalking meist eine unmäßige und realitätsferne Identifizierung mit einemIdol, die bei Zurückweisung in Hass- und Drohgebärden umschlägt. Wagentrotz bezeichnet Karlheinz Böhm ebenfalls als "Idol", doch vieles von dem, was er der Stiftung vorwerfe, sagt der Jurist, treffe in Wahrheit geradewegs seinen bewunderten Helden Karlheinz Böhm.

Auch an hässliche Scheidungsverfahren fühlt sich der Anwalt erinnert. An Fälle, die dadurch geprägt sind, dass ein Problem nicht mehr gelöst, sondern nur noch Rache geübt und ein möglichst großer Haufen Scherben erzeugt werden soll, und sei es um den Preis der Selbstschädigung. Der Anwalt sagt: "Wagentrotz wollte als der große Wohltäter auftreten und wird jetzt wahrscheinlich derjenige sein, der auf Monate, vielleicht sogar auf Jahre hinaus das Spendeneinkommen von MfM schrumpfen lässt."

Aber: Warum? Warum tut einer das? Warum tut er das anderen an und sich selbst auch? Warum schreibt er in seiner Mail an Ude, er fühle sich vom Stiftungsvorstand "gehässig, hinterhältig, verlogen, beleidigend und undankbar" behandelt, er sei "tief verletzt und in meiner Ehre gekränkt"? Ude hört da "den Aufschrei einer gequälten Seele", die mit ihren Millionenspenden möglicherweise große Erwartungen verknüpft hatte - etwa den Anspruch auf die Nachfolge des Karlheinz Böhm.

Wagentrotz streitet das ab, aber die Zurückweisung, die enttäuschte Hoffnung würde erklären, warum der Scherbenhaufen offenbar gar nicht groß genug sein kann. 6,5 Millionen Euro fordert Wagentrotz von der Stiftung zurück, einen Riesenbetrag, mit dem man in Äthiopien viele Schulen bauen und noch viel mehr Brunnen bohren könnte. Gegenüber der SZ nennt er "groben Undank" als Begründung und will die Forderung "nicht als Erpressungsversuch" gewertet wissen. Seltsam nur, dass Wagentrotz das böse Wort "Erpessung" selbst ungefragt ins Spiel bringt.

Vieles wird derzeit von unten nach oben gekehrt

Vielleicht deshalb, weil ja tatsächlich bei Nichtzahlung eine, wie Juristen das nennen, "Drohung mit einem empfindlichen Übel" im Raum steht - nämlich in Gestalt der von Wagentrotz angekündigten Anzeigenkampagne gegen die Stiftung mit möglicherweise ruinösen Folgen. Zahlen wird MfM dennoch nicht, die Stiftung dürfte es gar nicht, denn alles, was sie an Spendengeldern eingesammelt hat, ist ausschließlich für Stiftungszwecke zu verwenden.

Außerdem: Wie würde es in der Öffentlichkeit wohl wirken, wenn es hieße, die Stiftung "Menschen für Menschen" zahlt aus ihrem Spendentopf, der für die Ärmsten der Armen in Äthiopien bestimmt ist, Millionen an einen Multimillionär?

Mag ja sein, dass MfM nicht ohne Fehl und Tadel ist, dass man den Kult um Gründervater Karlheinz Böhm zu weit getrieben und sich nicht genug um die Selbstkontrolle gekümmert hat. Das Ausschreibungsverfahren in Addis Abeba, das dem Bau von Schulen vorausgeht, ist in der Tat problematisch und jedenfalls nicht immun gegen Missbrauch. Aber es laufen Prüfungen und Untersuchungen, es wird derzeit bei MfM vieles von unten nach oben gekehrt, und wenn einer meine, sagt Ude, zivilrechtliche Ansprüche zu haben, dann sei doch die Frage erlaubt, warum "er seinen Anwalt nicht bittet, sie einzuklagen".

Vorerst also keine Schlichtung - oder vielleicht eine andere? In seiner Mail an Ude schreibt Wagentrotz, statt Tiefensee schlage er "die Politiker Norbert Blüm, Heiner Geißler oder den bayerischen Finanzminister Söder" vor. Söder als aktives Regierungsmitglied kommt für die Stiftung nicht infrage, aber mit den Vorschlägen Blüm und Geißler, schrieb Ude zurück, sei der Stiftungsvorstand "im Interesse einer gütlichen Verständigung" einverstanden.

Wörtlich schreibt Ude weiter: "Sicher haben Sie deren Zustimmung, dieses Ehrenamt zu übernehmen, bereits eingeholt. Andernfalls bitte ich Sie, dies nachzuholen und dem Stiftungsvorstand Ort und Termin des ersten Treffens mitzuteilen."

Noch also ist Hoffnung - und das ist vor allem eine gute Nachricht für Millionen Äthiopier, die von Karlheinz Böhms Erfolgsmodell seit Jahrzehnten profitieren und gerne auch in Zukunft noch profitieren möchten. Dass an dem Konflikt die Stiftung zugrunde gehen könnte, ist nicht auszuschließen, Christian Ude jedoch glaubt es nicht. Er sagt: "Dafür ist die moralische Substanz, die die Stiftung in Jahrzehnten angesammelt hat, zu groß." Aber der Schaden sei wohl nur mit größter Anstrengung wieder gut zu machen.

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