Streit um Heiligen-Gebeine:Türkei fordert Nikolaus-Knochen von der Schweiz zurück

Der heilige Sankt Nikolaus ist Schutzpatron von Fribourg. Die logische Konsequenz: Ein Teil der Nikolaus-Gebeine wird in der Freiburger Kathedrale verwahrt. Doch nun macht ein türkischer Archäologe den Schweizern die Reliquie streitig - und hat schon an höchster Stelle danach gefragt.

Von Wolfgang Koydl, Zürich

Die Westschweizer Universitätsstadt Freiburg (Fribourg) ist normalerweise ein Hort der Lehre, der Aufklärung und der Toleranz. Zweisprachig, deutsch und französisch, und Sitz einer der angesehensten Hochschulen des Landes, hat sich die Gemeinde aus Händeln lieber stets herausgehalten. Nun aber herrscht ein rauer Ton in den steilen Gassen rings um die Kathedrale des Heiligen Nikolaus. Fast scheint es, als wollten sich die Freiburger zu einem Kreuzzug rüsten. Auch diesmal soll es nach Kleinasien gehen, gegen die Türken. Die Presse im Gebiet zwischen Genf und Neuchâtel spricht bereits offen von einem "Religionskrieg".

Grund der Aufregung ist ausgerechnet der Schutzpatron der Stadt, dem die Kathedrale geweiht ist. In ihr werden einige Teile des Oberschenkelknochens des Heiligen Nikolaus als Reliquie verwahrt und verehrt - immerhin schon seit mehr als 500 Jahren. Doch nun erheben Türken Ansprüche auf die paar Gramm Gebein. Sie sollen heimgeholt werden in den Geburtsort des wohl bekanntesten und beliebtesten Heiligen des christlichen Kalenders: nach Myra, dem heutigen Demre an der türkischen Mittelmeerküste unweit von Antalya.

Dort wirkte Nikolaus im vierten Jahrhundert als frühchristlicher Bischof, vollbrachte das eine oder andere Wunder und kümmerte sich angeblich vor allem um die Kinder. In Myra starb er, und deshalb ruhten dort auch Hunderte Jahre lang unbelästigt seine sterblichen Überreste - bis italienische Seefahrer sie 1087 vor herannahenden Türken in Sicherheit brachten und nach Bari verfrachteten, wo der Großteil noch heute liegen soll. Einige Knochenfragmente aber fanden ihren Weg von dort in andere christliche Städte, darunter auch nach Freiburg.

Türkischer Archäologe erhebt Anspruch auf Reliquien

Nun aber hat der türkische Archäologe Nevzat Cevik von der Akdeniz-Universität in Antalya Ansprüche auf die Reliquien erhoben. Ganz klar ist nicht, wozu er sie braucht: Einmal heißt es, sie sollten ein Glanzstück in einem geplanten Museum sein, ein andermal liegen ihm die Gefühle christlicher Pilger am Herzen: "600.000 Menschen kommen jedes Jahr nach Myra und finden ein leeres Grab", klagte er dem schweizerischen Gratisblatt 20 Minuten. In Freiburg schlug die Nachricht wie eine Bombe ein. "Wir werden die Gebeine auf keinen Fall hergeben", donnerte Claude Ducarroz, der Propst der Kathedrale. "Sie sind ein Symbol für die Anwesenheit des Heiligen in der Stadt und tief mit unserer Geschichte verwoben."

Ganz besonders verwundert habe es ihn, fügte der streitbare Propst hinzu, dass die Forderung von einem islamisch regierten Land erhoben wurde. Christliche Knochen in muslimischen Händen? "Ich habe kein Vertrauen in einen Staat, der von Islamisten dominiert wird. Die Reliquien waren immer in christlichen Händen."

Anfrage direkt beim Papst

Den Kirchenmann schreckte es noch nicht einmal, dass der türkische Wissenschaftler gleich auf der höchsten Ebene vorstellig geworden ist: Seinen Antrag hatte Cevik über alle Köpfe der Kirchenhierarchie hinweg direkt an den Papst gerichtet. "Die Kathedrale ist die rechtmäßige Eigentümerin", betonte dagegen Ducarroz. "Selbst wenn der Papst oder der Bischof eine Herausgabe favorisieren würden, haben noch immer wir die Freiheit, nein zu sagen", sagte der Propst.

In die Auseinandersetzung hat sich mittlerweile die Politik in Gestalt des flamboyanten Parlamentsabgeordneten Oskar Freysinger eingeschaltet. "Christliche Symbole sind in muslimischen Händen nicht sicher", verkündete der stellvertretende Vorsitzende der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Gerade der heilige Nikolaus sei in der christlichen Vorstellung tief verankert. Das erkläre die besonders heftigen Reaktionen auf die türkischen Forderungen.

Vorerst ist offen, wie der Streit ausgeht. Vielleicht beschäftigt er noch die Gerichte. Da dürften sich die Freiburger gute Chancen ausrechnen. Denn Nikolaus ist nebenbei auch noch der Schutzpatron der Rechtsanwälte.

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