Süddeutsche Zeitung

Streit um Flüchtlingsunterbringung:"Diese Leute haben Angst vor Fremden"

  • Dirk Rateike lebt im nordhessischen Gilserberg. Der Hotelier will sein Öko-Hotel den Behörden zur Verfügung stellen, damit Flüchtlinge darin untergebracht werden können.
  • Dafür wird der Mann anonym bedroht - mit Schlägen und Schlimmerem.
  • Kritiker fragen sich, wie die Gemeinde den Zuzug der vielen Flüchtlinge verkraften soll.

Von Susanne Höll

Dirk Rateike ist ein heimatverbundener Mensch, er schätzt umweltbewusstes Leben, er ist ein offenherziger Mann - und muss nun um sein Wohlergehen fürchten. Der Öko-Hotelier aus Nordhessen wird bedroht, aus dem Kreis seiner Dorfgemeinschaft im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis, gelegen zwischen Marburg und Kassel. Er solle sich des Nachts besser nicht mehr auf die Straße wagen, sonst müsse er mit Prügel und Schlimmerem rechnen, wurde ihm anonym mitgeteilt. Auf Rat der Polizei schläft er jetzt nicht mehr in seiner eigenen Wohnung und er hat Angst, dass sich jemand sich an seinem Hotel vergreift. Aber einschüchtern lässt er sich, wie er sagt, keinesfalls.

Den Zorn seiner Mitbürger hat der 46-Jährige mit einer wohlmeinenden, wenn auch nicht uneigennützigen Geste erregt. Er will sein Öko-Hotel im Ort Gilserberg den Behörden zur Unterbringung von Asylbewerbern zur Verfügung stellen.

Die Idee reifte, wie er selbst erzählt, langsam. Zunächst dachte er nur an eine eher kurzfristige Vermietung, in den Wintermonaten, wenn die Gäste nicht so zahlreich sind. Das Haus haben schon seine Eltern als Hotel geführt, er hat umgebaut und renoviert, sein Betrieb ist öko-zertifiziert, gekocht wird vegetarisch, alles gut, alles schön für den Besitzer und seine Gäste.

Platz für 80 Leute - die Kreisverwaltung ist angetan

Bis sich die Gemeinde vor ein paar Wochen entschied, in Sichtweite des Hauses eine Hähnchenmasterei zu bauen. Eine Schreckensvorstellung für Öko-Urlauber. Rateike begriff, dass er sein Hotel so nicht mehr weiterführen kann. Und bot der Kreisverwaltung an, ihr das gesamte Gebäude mit Platz für maximal 80 Leute für fünf Jahre zu vermieten.

Die Kreisverwaltung ist angetan, mindestens 900 neue Asylbewerber muss sie in diesem Jahr unterbringen. Wohnungen sind knapp, ein modernes Haus, Platz für Familien und mit etlichen Badezimmern ist sozusagen ein Geschenk des Himmels. Man weiß in der Kreisverwaltung, dass nicht alle Einwohner erfreut sind, auch in den örtlichen Gremien gibt es Widerstand.

"Diese Leute haben Angst vor Fremden"

Da sind die Skeptiker, die sich fragen, wie das gehen soll, knapp 3500 Einwohner in und um Gilserberg herum und 80 Zuzügler. Reichen die Kindergärtenplätze, wer sorgt für Sicherheit, wer kümmert sich um die Flüchtlinge? Solche Fragen wollen die Kreispolitiker nächste Woche in einer Bürgerversammlung beantworten. Diejenigen, die Rateike anonyme Drohungen schicken, werden sich aber auch in Info-Veranstaltungen kaum umstimmen lassen. Der Hotelbesitzer ist überzeugt: "Diese Leute haben Angst vor Fremden und wollen sie nicht im Ort haben."

Rateike machen die Drohungen und der Widerstand natürlich zu schaffen. Die Offerte aber zieht er nicht zurück. Er hielt Familienrat mit seiner 84 Jahre alten Mutter und deren Freund, die sich beide seit vielen Jahren in Bündnissen gegen Rassismus engagieren. Man habe, so sagt Rateike, beschlossen: "Das wird gemacht. Jetzt erst recht."

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Quelle:
SZ vom 26.02.2015
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