Streit um Flüchtlingscamp in Berlin:Willkommen in der nächsten Runde der Asyldebatte

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Bewohner eines Flüchtlingscamps blockieren den Verkehr am Berliner Oranienplatz. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Junge Eltern, Rentner und Linke, die gemeinsam randalieren: Der Streit um die Fremden wird in Berlin immer aggressiver. Gleich in mehreren Vierteln entzünden sich derzeit Konflikte um den Umgang mit Ausländern.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Irgendwann setzen dann Sprechchöre ein, und das Gemurre und Gepöbel wird zum Gebrüll. "Nein zu dem Heim!" skandieren Männer vor einem verlassenen Plattenbau im Berliner Bezirk Hellersdorf. Sie rufen "Volksverräter!" und "Lügen" und "Fidschis" (DDR-Alltagssprache für vietnamesische Vertragsarbeiter; Anm. d. Red.), sie wollen kein Asylbewerberheim hier, "wir sind hier in Deutschland".

Eine alleinerziehende Mutter eilt ans Mikrofon und erzählt, dass ihr Auto gestohlen worden ist neulich. "Das ham' wir jetzt davon, dass die Grenzen offen sind", ruft sie. "Ich wohne hier, das ist hier mein Zuhause!" Die Stimme der Frau überschlägt sich und das Publikum, es sind um die 800 Menschen, klatscht und johlt.

Willkommen in der nächsten Runde der Asyldebatte in Deutschland.

Die Szenen haben sich diese Woche auf einem ehemaligen Schulhof in Hellersdorf abgespielt. Das Gebäude steht seit Jahren leer, wegen Kindermangels, nun wird es umgebaut. Ab Herbst sollen in dem Plattenbau 200 Flüchtlinge eine Notunterkunft finden und ein Jahr später 400 Asylbewerber eine Zuflucht auf Zeit.

Das hat, vorsichtig ausgedrückt, für Widerstand im Bezirk Marzahn-Hellersdorf gesorgt, der mit einer Quote von 2,4 Prozent Asylsuchenden in Berlin kaum Flüchtlinge beherbergt. Bei einer Versammlung mit dem Bezirksbürgermeister, der Pläne für das neue Flüchtlingsheim vorstellte, kam es zu pogromartiger Stimmung, die - lautstark befeuert von Aktivisten der NPD - manche schon an Rostock-Lichtenhagen erinnerten. Brave Bürgersleute, Rentner, junge Familien randalierten da mit Rechtsextremisten, aber auch Linke machten Radau. Inzwischen sammeln sich, Protest gegen den Protest, unter "Hellersdorf hilft Asylbewerbern" auf Facebook Leute, die der offen ausgetobten Fremdenfeindlichkeit Einhalt gebieten wollen.

Und auch Klaus Wowereit hat sich zu Wort gemeldet. "Toleranz mit den Menschen, die von überall auf der Welt zu uns kommen, ist die Grundlage unseres Gemeinwesens. Sie muss täglich geschützt und auch verteidigt werden", sagte Berlins Regierende Bürgermeister. Einen Tag später sagte er aber dem Sender 104,6 RTL, dass es der Auftrag der Politik sei, "einige der Forderungen, die zu Recht erhoben werden, umzusetzen". Gemeint war Kritik an einem Flüchtlingscamp in Kreuzberg.

Der Streit um die Fremden, er spaltet Berlin, wo es keineswegs nur in Ostbezirken wie Hellersdorf hässliche Auseinandersetzungen um Flüchtlinge gibt. In der Metropole, diesem gesellschaftlichen Brennglas, entzünden sich Konflikte, die im ganzen Land schwelen. Bundesweit steigt die Zahl der Asylanträge, 2012 waren es 30 Prozent mehr als im Vorjahr.

Allein in Brandenburg, das immer mehr Menschen aus Kriegsgebieten wie Syrien, Afghanistan, aber auch Tschetschenien erreichen, werden die Zahlen von 1700 in 2012 auf 3000 in 2013 steigen. In Heimen wird es eng, man stellt Container auf und streitet um Kosten. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, fordert, endlich zu tun, was das Bundesverfassungsgericht verlangt: die verfassungswidrig niedrigen Leistungen für Asylbewerber anzuheben. Aber nichts passiert.

Die Konsequenzen lassen sich in Berlin besichtigen, wo 1200 Plätze für Flüchtlinge fehlen und es jede Menge Ärger gibt. Im feinen Westend wollen Anwohner ein Asylbewerberheim verhindern, weil sie um ihr Hab und Gut fürchten. Am Kreuzberger Oranienplatz campieren seit Monaten Flüchtlinge, die gegen Residenzpflicht und Arbeitsverbot für Asylbewerber protestieren. Manche Anwohner und der grüne Bezirksbürgermeister unterstützen sie, andere sind unbegeistert - unter ihnen einige, deren Vorfahren selbst mal eingewandert sind. Es gibt Klagen über Sperrmüll, den Duft des Toilettenwagens, Anmache.

Ein türkischstämmiger Familienvater soll die Flüchtlinge als "Scheißneger" beschimpft haben. Er verletzte einen Mann mit einem Messer, es kam zur Massenrangelei. Ein paar Straßen weiter, im Görlitzer Park, stehen immer mehr Asylbewerber aus afrikanischen Ländern, die offensiv Drogen verkaufen. Anwohner und Eltern rebellieren und fragen, warum die Polizei wegschaut. Als Zivilbeamte am Mittwoch einen Dealer kontrollierten, wurden sie, berichtet die Polizei, von 30 Leuten mit Flaschen und Steinen beworfen. Ein Polizist zog die Waffe. "Er wollte die Menge nur warnen", sagt ein Polizeisprecher.

Andernorts blieb es nicht bei Drohgebärden in einem Konflikt, in dem sich auch Rassismus immer ungenierter zeigt. Am Alexanderplatz wurde vor ein paar Tagen ein 48 Jahre alter Mann aus Guinea auf einer Bank angepöbelt, offenbar seiner Hautfarbe wegen. Zwei betrunkene Obdachlose aus Polen schlugen ihn brutal zusammen, Passanten griffen ein, verjagten sie. Der Mann aus Guinea hat überlebt, wenn auch nur knapp. Er ist jetzt außer Lebensgefahr.

© SZ vom 12.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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