Streetfood:Einmal Hühnchen mit Reis und Michelin-Stern, bitte

The Wider Image: Eating street in Singapore

"Ich dachte zuerst, die machen Witze": Chan Hon Meng ist stolz auf seine kleine Garküche, die kürzlich mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde.

(Foto: Edgar Su/Reuters)

180 Hühnchen brutzelt Chan Hon Meng jeden Tag in seiner Garküche in Singapur. Seit ihm die Auszeichnung verliehen wurde, rennen Einheimische und Touristen ihm die winzige Bude ein.

Von Arne Perras, Singapur

Die Rolltreppe rauf. Erster Stock. Hier muss es irgendwo sein. Auf dieser Ebene im Chinatown Complex von Singapur duftet das Essen aus allen Ecken. Knusprige Popiah, Frühlingsrollen, mit buntem Gemüse gefüllt. Oder Xiao Long Bao, gedämpfte Klößchen mit Schweinefleisch und Chili-Öl: In den "Hawker Centres" von Singapur findet jeder was für seinen Geschmack, die Auswahl asiatischer Küche ist riesig, und das Beste daran ist: Die Portionen hier sind noch erschwinglich, was man von den Restaurants in der teuersten Stadt der Welt nicht gerade behaupten kann.

Jetzt gilt es den Stand mit der Nummer 126 zu entdecken. Und tatsächlich, da ist er - am Beginn einer unfassbar langen Menschenschlange. Sie windet sich zwischen Tischen und Bänken hindurch, macht einen Knick nach rechts und eine Kurve nach links. Vorne sehen die Wartenden schon ein wenig erschöpft aus. Aber auch glücklich, bald sind sie an der Reihe. "Wird auch Zeit, nach zweieinhalb Stunden", murmelt Soh Che Peng, ein junger Mann, der extra aus Malaysia angereist ist.

Seine Küche ist so groß wie eine Besenkammer

Sie alle stehen an, um das Hühnchen von Chan Hon Meng zu kosten. Die kleine Garküche mit der Nummer 126, in der der singapurische Koch konzentriert seine Essen zubereitet, hat kürzlich einen Michelin-Stern bekommen. Ein Gourmet-Restaurant, so groß wie eine Besenkammer. Eingezwängt in eine lange Reihe von Buden, vor denen festgeschraubte Tische wie in einer Mensa stehen. Bei Chan kann man "Hong Kong Soya Sauce Chicken Rice & Noodles" bestellen, eine kantonesische Spezialität. Seit der 51-Jährige nun im Michelin-Führer von Singapur steht, rennen sie ihm die Bude ein, jeden Tag bilden sich riesige Schlangen, morgens, mittags, nachmittags. Leer ist es nie.

Wenn Chan am Abend dann seine letzte Portion verkauft hat, geht ein Raunen durch den Rest der Menge. Jeden Tag muss er Dutzende Kunden auf den nächsten Tag vertrösten. So ist das, seitdem sie Chan und seinem Hühnchen diesen Stern verpasst haben. Wo bekommt man sonst auch schon ein preisgekröntes Essen für zwei Singapur-Dollar die Portion? 1,35 Euro. Nur hier gibt's das, weshalb Chan nun kaum mehr zur Ruhe kommt.

So ist es auch jetzt, nachmittags um vier. Er steht mit schwarzer Schürze in seiner Küche, vor ihm und hinter ihm hängen zwei Dutzend gegarte Hühnchen am Haken. Sie glänzen goldig-braun. Die Farbe macht der Sud aus Sojasoße, den Chan immer selbst zubereitet. Mit der linken Hand pflückt er gerade ein Huhn herunter, mit der rechten schwingt er ein kleines Beil. Blitzschnell hat er das Fleisch zerlegt, nebenbei kocht er noch den Reis und die Nudeln. An seiner Seite wirbelt seine Frau. Sie kassiert, macht die Teller fertig und reicht sie den Kunden hinaus, die sich in der Halle einen Sitzplatz suchen.

Jetzt wäre es wirklich prima, mit Chan ein paar Worte zu wechseln. "Klar geht das", ruft er aus seiner Küche heraus. Nur dass er noch zwei Dutzend Hühnchen zu zerlegen hat und die Leute in der Schlange doch schon etwas grimmig schauen, was denn der Mann da vorne macht. Will er essen? "Dann hinten anstellen", ruft ein Inder. Reden? "Sehen Sie nicht, dass dieser Mann gerade kocht?", raunt eine Singapurerin. "18 Uhr!", ruft da der Küchenchef, "dann müsste ich mit allem durch sein."

Chan Hon Meng hat einen der härtesten Jobs in Singapur

Bis dahin: Warten auf Herrn Chan. Zeit, um sich in der Schlange umzuhören. Einheimische stehen an, aber auch Touristen wie Viktor Gense aus Würzburg. Der 26-Jährige macht gerade eine Weltreise und verbringt drei Tage in Singapur. Dass er schon mehr als zwei Stunden wartet, macht ihm nichts aus. Er hat ja Urlaub. "So eine Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen", sagt er.

Inzwischen hat Soh Che Peng aus Malaysia seine Portion Hühnchen bekommen und auch einen Sitzplatz ergattert, er beginnt beinahe andächtig zu essen. Chicken Rice, den gibt es hier ja überall. Was also ist anders am Huhn von Chan Hon Meng? "Saftig und doch fest im Fleisch", lautet sein Urteil. "Das Warten hat sich gelohnt."

Es dauert bis kurz vor halb sieben, dann ist alles Essen verkauft. Chan huscht in seinem weißen Kochkittel aus der Küche, wäscht sich den Schweiß aus dem Gesicht. Mit einer Limonade setzt er sich an einen der roten Tische in der Halle, er wirkt erschlagen. Kein Wunder, nach 180 Hühnchen. Das ist sein Pensum für den Tag.

Asiatische Garküchen haben Nachwuchsprobleme

Seit sechs Uhr ist er auf den Beinen, eine längere Pause hat er nicht gemacht, früh morgens wäscht er das frisch angelieferte Fleisch und bereitet den Topf mit der speziellen Soße vor, in dem die Hühner garen. Welche Zutaten er in welcher Mischung verwendet, verrät er nicht. Bis er aufgeräumt und geputzt hat, wird es neun Uhr abends sein, dann geht er nach Hause.

Seine größte Freude ist es, wenn seine zehnjährige Tochter noch wach ist und ihn anstrahlt. "Auf diesen Moment freue ich mich jeden Tag", sagt Chan, der nur am Mittwoch keine Hühnchen verkauft. Ein freier Tag? Nicht wirklich, denn da besorgt er seine Zutaten und bereitet alles für die Woche vor. Und jetzt, wo er so berühmt geworden ist, kann er sich nicht einen Helfer anstellen? Oder einen Lehrling ausbilden? "Das hab ich versucht", sagt er. "Aber heute denken alle jungen Leute an die Universität." Und diejenigen, die es probieren, halten die viele Arbeit nicht lange aus.

Kochen im Hawker Centre, das ist einer der härtesten Jobs, die in Singapur zu vergeben sind. Und das macht sich bemerkbar, weil den Street-Food-Machern überall der Nachwuchs ausgeht. Dennoch sind ihre Garküchen unverzichtbar für Leute mit kleinerem Einkommen, die es in der Glitzermetropole Singapur auch noch überall gibt.

Der Malaysier kam nach Singapur und arbeitete sich hoch

Chan ist keiner, der sich über seine Arbeit beklagt. Der Stern von Michelin macht ihn stolz. "Ich dachte zuerst, die machen Witze." Aber das war nicht so. Wer Chan eine Weile zuhört, hat nicht das Gefühl, dass ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen ist. Hier sitzt ein bescheidener Mann, der sich mit Fleiß hochgearbeitet hat. Und der nichts dem Zufall überlassen will. "Ich habe immer versucht, mein Bestes zu geben", sagt er. Und das können jetzt alle schmecken.

Als junger Mann kam er aus Malaysia nach Singapur, weil zu Hause nichts zu verdienen war. Er wuchs auf einer Farm auf. Chan weiß noch genau, wie er als Junge zum ersten Mal kochte. Fisch war das, stolz trug er ihn zu seiner Mutter, die ihn probierte und dann sagte: "Das war aber nix." Chan hat das nicht entmutigt. Er fing als Küchenhilfe an. Später stieß er auf einen Koch, der ihm beibrachte, wie man Hong Kong Soya Sauce Chicken macht. Der ist nun ein alter Mann. Aber ihm habe er viel zu verdanken, sagt Chan.

Chan träumt von einem eigenen kleinen Restaurant

Seine eigene Garküche in Chinatown betreibt er seit acht Jahren. Klar, dass der Stern große Aufregung erzeugt und vieles verändert hat. Früher gab es auch schon Schlangen vor seiner Küche. Doch die meisten Kunden von damals sind nun verschwunden. Vor allem die älteren Leute können nicht so lange anstehen. Nun kommen vor allem Fremde.

Und was sagen die anderen Köche? "Klar gibt es Neid", sagt Chan, da müsse man gar nicht herumreden. "Aber das kann ich nicht ändern." Der Stern jedenfalls beflügelt ihn, auch wenn es so aussieht, als sei der Stress erst mal nur größer geworden. "Irgendwann", sagt Chan, "möchte ich ein kleines Restaurant aufmachen. Und dann probiere ich, vegetarisch zu kochen." Jeden Tag das Beil. Und so viele Hühner. "Für einen Buddhisten ist das gar nicht so leicht, wissen Sie." Wie gut, dass Herr Chan noch Träume hat. Er möchte kochen, aber anders.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: