Süddeutsche Zeitung

Straßenstrich in Bonn:Die Nummer für die Nummer

Zu viele Regeln für die freie Liebe: Automaten sollen auf dem Bonner Straßenstrich für Steuergerechtigkeit unter den Prostituierten sorgen - und der klammen Rheinmetropole Geld in die Kasse spülen. Doch das Konzept geht nicht auf.

Bernd Dörries, Bonn

In der Mitte der Immenburgstraße in Bonn steht ein großes Schild. "Fleischwaren. Einkauf für Jedermann." Man könnte jetzt ein paar lustige Wortspiele über dieses Schild machen, das ein Metzger vor seinem Schlachthof aufgestellt hat, der direkt am Bonner Straßenstrich liegt. Man kann es aber auch sein lassen. Es ist Dienstagabend und wenn Autos ungeduldig fahren können, dann tun sie das gerade in der Immenburgstraße. Ein paar Mittelklasseautos kreisen dort umher, aber keine Prostituierten.

Die kommen um kurz nach acht Uhr abends. Es sind genau fünf Damen, die zu einem Automaten gehen, der so aussieht, als bekomme man dort ein Parkticket. Sechs Euro werfen die Prostituierten vom Straßenstrich ein und bezahlen damit ihre Sexsteuer für diese Nacht.

"Die Freier wollen ihre Ruhe haben"

Der Automat druckt eine Quittung aus. Als Zeit ist dort angegeben: 20.15-6 Uhr. So lange darf man dann an der Straße stehen und auf Kunden warten. Eine der Frauen nestelt mit dem Ticket am Revers ihres Overalls, so, als ob sie es dort einklemmen wollte. Eine andere wartet offenbar erst einmal in ihrem VW-Golf auf Freier und hat den Zettel hinter die Windschutzscheibe gelegt.

Straßenstrich, das klingt so, als gebe es keine Regeln, als sei es die große Freiheit für die Huren und ihre Freier. So ist es aber nicht.

Der Bonner Straßenstrich leidet mittlerweile an einer so großen Überreglementierung, dass selbst die EU bald tätig werden und mehr freie Marktwirtschaft verordnen könnte. Es sei nicht mehr viel los hier, sagt ein Mann, der an der Imbissbude am Straßenstrich steht, seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen will. "Die Freier wollen doch möglichst ihre Ruhe haben", sagt er, hier fühlten sie sich beobachtet. Es gab ohnehin schon viele Regeln zu beachten, der Sexsteuerautomat hat die Dinge nicht leichter gemacht für die Damen.

Das nahe Köln hat den Dom als große Attraktion, Bonn hat durch das Alleinstellungsmerkmal des Sexsteuerautomaten zumindest für ein paar Tage die fast ungeteilte Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Am Dienstagabend ist das russische Fernsehen da, RTL sowieso.

"Die machen mein Geschäft kaputt", sagt die einzige Deutsche unter den anwesenden Damen. Gestern erst habe sie gerade mit einem Familienvater Sex gehabt, als dieser plötzlich eine Kamera vom WDR im Gesicht hatte. Familienväter wollen aber nicht beim Sex mit Prostituierten gefilmt werden. Sie hoffe, dass sich die Lage bald beruhige.

Vielleicht lag es also auch an den vielen Kameras, dass der Ertrag aus den ersten Tagen der Sexsteuer nicht besonders umfangreich war: 264 Euro in den ersten drei Nächten. Während eine Huren-Organisation gegen den Automaten protestiert, findet die Prostituierte mit dem Golf ihn gar nicht schlecht. Er erspare ihr eine Menge Bürokratie. "Ich muss nichts mehr ausfüllen", sagt sie.

Denn die Stadt Bonn hat seit Jahresbeginn eine Sexsteuer für alle Prostituierten eingeführt. Die in den Puffs müssen sie monatlich gegenüber dem Finanzamt melden. Da die Steuer von den Prostituierten auf der Straße, die meist kein Deutsch sprechen, weitgehend ignoriert wurde, sei der Automat ein Stück "Steuergerechtigkeit", sagt eine Sprecherin der Stadt.

Insgesamt erhofft sich die klamme Stadt Bonn in diesem Jahr Einnahmen von 200.000 Euro aus der Sexsteuer. Damit soll auch die Infrastruktur des Straßenstrichs finanziert werden, für den die Stadt in Vorleistung gegangen ist. Anfang des Jahres wurde der Strich aus einem Wohn- und Geschäftsviertel in die Immenburgstraße verlegt. Davor hatten sich Studentinnen und Telekom-Mitarbeiterinnen beschwert, dass sie von Freiern angesprochen würden.

Am neuen Standort neben einem Bordell gibt es nun sechs "Verrichtungsboxen", in die die Freier mit dem Auto einparken. Ein privater Securitydienst überwacht die Boxen. Die Sexsteuer wird nachts vom Ordnungsamt kontrolliert.

Um sechs Uhr ist Schluss. Danach verkauft die Metzgerei wieder Fleischwaren.

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SZ vom 01.09.2011/jobr
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