„Zweimal habe ich jetzt in der Elektrischen das Vergnügen gehabt, mir vis-à-vis ein Liebespaar sitzen zu sehen“, empört sich Friedrich S. auf der Leserbriefseite der Zeitung Wiener Hausfrau vor mehr als 100 Jahren. „Das war ein Gedrücke und Geküsse, welches auf andere einfach widerlich wirkte und jedenfalls in der Elektrischen nichts zu suchen hat.“
Liebespaare auf den Sitzplätzen von Straßenbahnen wird es bei der 11. Tram-Europameisterschaft in Frankfurt am Main am 14. September wahrscheinlich nicht zu sehen geben. Gedrücke und Geküsse neben den Gleisen aber schon. Schließlich sollen zur Tram-EM auch Gesangsdarbietungen der Frankfurter Oper am Willy-Brandt-Platz zu hören sein, sowie „Highlights aus dem Tina-Turner-Musical“. Vor allem aber werden sich erneut zahlreiche hauptberufliche Straßenbahnfahrerinnen und -fahrer aus mehr als 20 Ländern im Geschicklichkeits- und Präzisionsfahren beweisen müssen, zum Beispiel beim sogenannten „Bim-Bowling“, bei dem die Lenkerinnen und Lenker mit einer ihnen vor Ort zur Verfügung gestellten Straßenbahn einen riesigen Ball anzustupsen haben, welcher dann möglichst viele Kegel zu Fall bringen soll.
Auch wenn die Idee zur Tram-EM ursprünglich aus Dresden stammt: Vor allem die Wiener Lenker sind auch heuer wieder total heiß darauf, sich – wie bereits 2023 im rumänischen Oradea – einen weiteren Sieg zu holen. Denn im Herbst 2025 möchten sie dann vor ihrem wunderschönen Rathaus die erste „Tramway-WELTmeisterschaft“ veranstalten. Die Voraussetzungen für einen neuen Titel sind gut: Gerade in Wien müssen Bim-Fahrer Nerven wie Oberleitungsdrähte haben. Nicht nur wegen der lauten deutschen Touristen und Studenten im Genick, auch wegen des ständigen Gedrückes und Geküsses gerade der einheimischen Bevölkerung auf der Ringstraße. Eine echte Konkurrenz würden für sie allein die noch berg-, kurven- und trubelerfahreneren Bim-Lenker der historischen Linie 28E aus Lissabon darstellen. Doch die nehmen, und das ist ausgesprochen schade, schon wieder nicht teil.
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