Strafzettel:Ermessen, wem Ermessen gebührt

Wer falsch parkt, kann aufgeschrieben werden, muss aber nicht. Kommt ganz darauf an, wie die Polizisten die Ordnungswidrigkeit auslegen. Ansonsten gilt: Manche Menschen sind gleicher als gleich. Auch wenn sie Hunger haben.

Von Bernd Oswald

Stefan Pfeiffer wollte nur seinen Sperrmüll wegbringen. Im Januar hatte er sich zum vorgezogenen Frühjahrsputz entschieden. Mit dem Auto eines Freundes plante er zwei Fuhren zum Wertstoffhof. Pfeiffer wohnt im Münchner Innenstadt-Viertel Haidhausen, wo die Nachfrage nach Parkplätzen das Angebot bei weitem übersteigt. So auch am 5. Januar.

Strafzettel: Stein des Anstoßes: ein Strafzettel made in Bayern

Stein des Anstoßes: ein Strafzettel made in Bayern

(Foto: Foto: dpa)

Vor allem vor der Haustür gab es natürlich keinen, als er sich daran machen wollte, alte Schränke und Elektroschrott einzuladen. Aber für die fünf Minuten würde er sich zum Einladen eben kurz auf den Bürgersteig stellen.

Kaum hat er dort den Motor abgestellt, hält ein Polizei-Wagen neben ihm. Die Beamten weisen Pfeiffer freundlich darauf hin, dass er hier nicht halten kann. "Ich muss nur kurz meinen Sperrmüll einladen, wo soll ich mich denn sonst hinstellen?", fragt er die Polizisten, die ein Einsehen haben und ihm erlauben, sich zwei Meter weiter hinten kurz ins absolute Halteverbot zu stellen. Der Informatiker tut wie ihm geheißen und geht wieder in den Keller, um nun seinen alten Schreibtisch zu holen.

Fingerspitzengefühl? Fehlanzeige

Im Keller sortiert er noch kurz den restlichen Müll, so dass etwa fünf Minuten vergehen, bis er wieder an seinem Auto ist. Pfeiffer traut seinen Augen kaum, als er auf die Windschutzscheibe seines mintgrünen Minis schaut. Unter dem Scheibenwischer steckt ein Strafzettel. Ungläubig blickt er um sich und erspäht auf dem Pariser Platz zwei weitere Polizisten. Tatsächlich waren sie es, die ihm das Knöllchen verpasst haben.

Der Hinweis auf die Polizei-Kollegen, die ihm das Parken im absoluten Halteverbot zum Einladen gestattet hatten, fruchtet nichts. "Das kann ja jeder sagen", entgegnet der junge Ordnungshüter. Wo er sich denn dann hinstellen solle, wenn er einmal im Jahr zum Wertstoffhof fahre, will der 31-Jährige wissen. Das sei nicht sein Problem, erwidert der Polizist und überhaupt, wenn man ein Auto habe, solle man eben nicht nach Haidhausen ziehen. Frustriert von so wenig Fingerspitzengefühl wendet sich Stefan Pfeiffer schließlich ab.

Aufschreiben mal umgekehrt

Kann so etwas wirklich sein? Wie ist die unterschiedliche Bewertung durch zwei verschiedene Polizisten binnen weniger Minuten zu erklären?

Stefan Pfeiffer hat es versäumt, die Nummer des Streifenwagens der beiden Polizisten aufzuschreiben, die ihm erlaubt hatten, kurz im absoluten Halteverbot zu parken. Das empfiehlt Eva Völkl von der Pressestelle des Polizeipräsidiums München für solche Fälle. Nur dann sei die Situation nachvollziehbar, wenn man denn Einspruch einlegen wolle.

Obwohl Pfeiffer im absoluten Halteverbot stand, hätten ihn die Polizisten nicht aufschreiben müssen. Falsch parken ist eine Ordnungswidrigkeit, und in diesem Bereich haben die Beamten vollen Ermessensspielraum. "Sie können Parksünder mündlich verwarnen, das Parken für ein paar Minuten dulden oder aber einen Strafzettel ausstellen", erklärt Völkl. Es gibt auch keine festgeschriebene Falschpark-Dauer, nach der sie zum Knöllchen greifen müssen.

Be- und Entladen darf man nur im eingeschränkten Halteverbot. Wer sicher gehen will, dass er sein Auto ungestraft ein- und ausräumen kann, muss Völkl zufolge bei der betreffenden Behörde eine Sonderparkerlaubnis beantragen, wie zum Beispiel beim Umzug. Wem das zu aufwändig ist und wer sich lieber auf den gesunden Menschenverstand verlässt, der ist auf das Wohlwollen der Streifenpolizisten angewiesen.

Wie die Gesetzeshüter um ihr eigenes Wohlergehen besorgt sind, konnte Stefan Pfeiffer wenige Tage später selbst beobachten. Exakt da, wo er seinen Mini geparkt hatte, hält am 13. Januar kurz vor 21 Uhr ein 5-er-BMW der Polizei. Einer der Beamten steigt aus und steuert schnurstracks in das drei Meter entfernte Fast-Food-Restaurant, wo er sich in der Schlange einreiht.

Auch beim Brotzeit-Holen abrufbereit

Misst die Münchner Polizei mit zweierlei Maß? Mitnichten, denn die Verkehrsregeln gelten nicht für Polizisten. Auch dann nicht, wenn offensichtlich kein dringender Einsatz anliegt? "Nicht, wenn ein Polizeibeamter im Dienst ist", erklärt Eva Völkl. Selbst wenn er sich eine Brotzeit hole, habe er sein Funkgerät dabei und sei somit immer abrufbar. Und im Dienst ist er auch, wenn er sich etwas zu essen holt.

"Natürlich soll er nach Möglichkeit einen Parkplatz suchen, aber wenn gerade keiner in der Nähe ist, darf er sich auch ins absolute Halteverbot stellen", sagt die Pressesprecherin.

Stefan Pfeiffer hilft das nichts mehr. Wegen 15 Euro Bußgeld wollte er keine Scherereien mit der Polizei anfangen. Die Polizei-Welt versteht er nun aber nicht mehr.

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