Süddeutsche Zeitung

Strafmaßverkündung:Bill Cosby muss wegen sexuellen Missbrauchs jahrelang ins Gefängnis

Lesezeit: 4 min

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Drei bis zehn Jahre. Das ist die Gefängnisstrafe, die Richter Stephen O'Neill am Dienstag gegen den Entertainer Bill Cosby wegen sexuellen Missbrauchs verhängt hat. Es ist im US-Bundesstaat Pennsylvania üblich, das Strafmaß als Zeitfenster festzulegen, im konkreten Fall bedeutet das: Der 81 Jahre alte Cosby kann nach frühestens drei Jahren eine Freilassung beantragen.

Man muss bei diesem Prozess stets einen Schritt näher treten und dann wieder zwei zurück machen, um aufgrund der vielen Details zu verstehen, welches Gesamtbild präsentiert wird. Die Länge der Strafe besagt, dass Cosby sie nicht in einem Bezirksgefängnis oder gar unter Hausarrest wird absitzen dürfen, sondern in eine bundesstaatliche Anstalt muss - gegebenenfalls sogar in Einzelhaft.

O'Neill hat auch verhängt, dass Cosby für den Rest seines Lebens als gewaltbereiter Sexualstraftäter registriert sein muss und deshalb zum Beispiel keinen unbegleiteten Besuch von seinen minderjährigen Enkeln empfangen darf. Und er hat entschieden, dass Cosby bis zu einer möglichen Berufungsverhandlung nicht gegen Kaution freikommt, sondern direkt ins Gefängnis muss - das ist die wohl bedeutsamste Entscheidung: Die Strategie der Verteidiger war es gewesen, einen Hausarrest zu erwirken und dann möglicherweise die Verhandlungen derart zu verzögern, dass Cosby möglichst lange ein freier Mann bleiben könnte. Nun aber verlies er den Gerichtssaal in Handschellen und wurde direkt in ein Gefängnis in der Nähe von Philadelphia gebracht.

Die Geschworenen hatten Cosby im April für schuldig befunden, im Jahr 2004 die damalige Uni-Mitarbeiterin Andrea Constand betäubt und sexuell missbraucht zu haben. Insgesamt werfen ihm knapp 60 Frauen vor, sie genötigt, missbraucht oder gar vergewaltigt zu haben, dieser Fall jedoch war der einzige, bei dem Cosby strafrechtlich belangt werden konnte. Beim ersten Prozess vor zehn Monaten waren die Geschworenen nach tagelanger Beratung hoffnungslos festgefahren gewesen, bei der Neuauflage wurde Cosby im April für schuldig befunden.

Es ging nun einzig um das Strafmaß, und dabei vor allem um das Image von Bill Cosby. Der war ja mal ein moralisches Vorbild, der Vater der Nation, in der New York Times wurde er 1987 gar als "der einflussreichste Prediger in Amerika" bezeichnet. Es ist viel passiert seit diesem Artikel, mit Cosby, aber auch mit der Welt. Die Enthüllungen über Filmproduzent Harvey Weinstein oder Schauspieler Kevin Spacey haben im Herbst 2017 die "Me Too"-Debatte ausgelöst und gezeigt, wie schamlos einige Prominente ihren Einfluss dazu missbraucht haben, ihre Missetaten zu kaschieren.

Die Ermittler zeichneten bei der Anhörung das Bild eines psychisch kranken Menschen, der seine Taten über mehrere Jahrzehnte hinweg begangen und keine Reue gezeigt habe, und der deshalb auch heute noch eine Gefahr für Frauen darstelle. Der Richter habe, so Staatsanwalt Kevin Steele, mit dem Strafmaß eine Botschaft an die Welt zu senden, dass niemand über dem Gesetz stehe. Das Opfer Andrea Constand sagte lediglich: "Ich bitte um Gerechtigkeit, die das Gericht für angemessen hält." Davor hatte sie bei Twitter einen Bibelspruch veröffentlicht, der diese Textzeile enthält: "Gib dem Teufel keine Gelegenheit."

Cosby ist im Verlauf des weltweit beachteten Prozesses vom Heiligen zum gefallenen Engel geworden, durch ein paar nicht zu leugnende Fakten lässt sich das Bild des integren Entertainers nicht mehr aufrechterhalten. Er hat zugegeben, dass er seine Ehefrau Camille immer wieder betrogen und sich Schlafmittel besorgt hat, um mit jungen Frauen zu schlafen. Er hat auch eingeräumt, seinen Finger in die Vagina von Constand eingeführt zu haben, ohne sich darum zu scheren, ob sie das möchte. Und es kam heraus, dass er sich im Jahr 2006 für knapp 3,4 Millionen Dollar von einer Zivilklage freigekauft hat.

Cosby hätte sich erklären können

Was fehlt in diesem Gesamtbild: eine Aussage von Cosby. Der Schauspieler hat andere für sich reden lassen, seinen Sprecher Andrew Wyatt zum Beispiel, der den Prozess nach der Bekanntgabe des Strafmaßes als den "rassistischsten in der Geschichte dieses Landes" schimpfte, etliche Beweismittel infrage stellte und Berufung ankündigte. Cosby selbst hat während der Verhandlung nur einmal gesprochen, und das eher im Affekt. Als Staatsanwalt Kevin Steele nach dem Urteil im April gefordert hat, wegen Fluchtgefahr keine Kaution zuzulassen, da ist Cosby aufgesprungen und hat, sich selbst in der dritten Person meinend, im Gerichtssaal gerufen: "Er hat keinen Privatjet, du Arschloch! Der macht mich krank!"

Cosby hätte Reue zeigen können, das hätte sich womöglich auf das Strafmaß ausgewirkt. Er hätte sich entschuldigen können, bei Constand und den anderen mutmaßlichen Opfern. Er hätte sich erklären können. Cosby, der als Heiliger immer wieder über Moral und die Konsequenzen des eigenen Handelns gesprochen hatte, schwieg. Er tat das nicht, weil er aus Scham lieber nichts sagen wollte, er tat es aus rein taktischen Gründen. Seine Anwälte hatten schon vor der Bekanntgabe des Strafmaßes angekündigt, Berufung gegen Prozess, Urteil und Strafe einlegen zu wollen - ein Wort der Reue oder ein Eingeständnis der eigenen Schuld hätte das erschwert.

"Es hätte mir die Welt bedeutet, wenn er sich entschuldigen würde", hatte das einstige Model Janice Dickinson gesagt. Sie hatte während des Prozesses ausgesagt, vor mehr als 30 Jahren von Cosby betäubt und vergewaltigt worden zu sein, beim Verkünden des Strafmaßes war sie im Gerichtssaal: "Ich will, dass er für mehrere Jahre ins Gefängnis kommt, weil er genau das verdient hat", hatte sie vorher gesagt.

Es ist, das darf man nicht vergessen, lediglich ein Urteil in einem konkreten Fall. Es dürfte jedoch als Signal interpretiert werden für all die Prozesse, die nun auf prominente Beschuldigte zukommen: Niemand steht über dem Gesetz - auch niemand, der zuvor heilig gesprochen worden ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4144722
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.