Wenn der Bundesinnenminister einmal im Jahr die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vorstellt, lässt sich an den Zahlen ablesen, wie statistisch belastbar unser Sicherheitsgefühl ist. Vorfälle wie etwa die Übergriffe in der Silvesternacht 2015 in Köln, die Vergewaltigung einer Camperin in Bonn oder der Mord an einer Freiburger Studentin haben dazu beigetragen, dass sich viele von Zuwanderern bedroht fühlen.
In der Kriminalstatistik sticht nun in diesem Jahr eine Zahl hervor, die dieses Unsicherheitsgefühl offensichtlich bestätigt. Der Statistik zufolge hat die Polizei im vergangenen Jahr deutlich mehr tatverdächtige Zuwanderer registriert als im Vorjahr. Die Verdachtsfälle sind um mehr als 50 Prozent auf knapp 175 000 gestiegen - eine beunruhigende Entwicklung. "Da ist nichts zu beschönigen", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei der Vorstellung der Statistik.
Doch wer sich die Zahlen der Kriminalstatistik genauer anschaut, stellt fest: Die Materie ist komplex. Kriminologe Dirk Baier beschäftigt sich als Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Universität Zürich mit den Ursachen und Auswirkungen von Kriminalität, hat zu Einbrüchen in deutschen Großstädten geforscht und befasst sich intensiv mit von Migranten verübten Straftaten. Für ihn ist die aktuelle Entwicklung nicht überraschend, doch warnt er vor voreiligen Schlüssen und erklärt, warum die Statistik an manchen Stellen oft fehlinterpretiert wird.
Der Einfluss der Migrationsbewegungen Ende 2015: Die Kriminalstatistik vermittelt den Eindruck, dass mit den Flüchtlingen auch besonders viele Kriminelle nach Deutschland gekommen sind. Ist das so richtig?
Dirk Baier: "Mit solchen Aussagen muss man vorsichtig sein. Wer nur die nackten Zahlen sieht, stellt fest, dass die Kriminalität in Deutschland gestiegen ist. Dass auch der Anteil der Zuwanderer an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen größer geworden ist, ist nicht überraschend. Diese Entwicklung deuteten schon die jüngsten Kriminalstatistiken aus den einzelnen Bundesländern an.
Aber man muss darauf hinweisen, dass von Ende 2015 bis Anfang 2016 ein großer Flüchtlingsstrom nach Deutschland gekommen ist. Da ist es ganz normal, dass wenn mehr Menschen in ein bestimmtes Land kommen, auch die absolute Zahl beispielsweise der Gewalttaten steigt. Die Zahl zeigt, dass die Kriminalität in Deutschland zugenommen hat und nicht, dass Flüchtlinge krimineller sind als Deutsche. Die meisten verhalten sich gesetzeskonform."
Die Delinquentenrate unter Flüchtlingen: Männer, Frauen und Kinder sind nach Deutschland geflüchtet. Doch natürlich ist nicht jeder von ihnen ein potentieller Straftäter. Wer genauer in die Kriminalstatistik schaut, erkennt, dass nur ein Teil einer bestimmten Personengruppe eher straffällig wird als andere.
Dirk Baier: "Unsere Studien haben gezeigt, dass vor allem die jungen Männer im Alter von 14 bis 30 Jahren mit Kriminalität auffallen. Unter Deutschen gehört zu dieser Altersgruppe allerdings nur jeder Zehnte, unter Flüchtlingen jeder Dritte.
Generell gilt: In Bezug auf Ladendiebstähle unterscheiden sich Deutsche und Migranten kaum voneinander, bei Gewaltdelikten ist es anders anders: Personen mit Migrationshintergrund, vor allem mit türkischen oder arabischen Wurzeln, treten hier deutlich öfter als Täter in Erscheinung.
Außerdem kann man erkennen, dass unter den Zuwanderern besonders Marokkaner und Algerier auffällig werden. Sie haben kaum Aussichten auf einen positiven Asylbescheid. Bis zur Rückführung in ihre Heimatländer dauert es oftmals lange. Ihre schlechte Perspektive in Deutschland ist entscheidend für ihre Anfälligkeit, kriminell zu werden. Hier müsste man politische Lösungen finden, um das Problem zu beheben. Entweder schiebt man sie schneller ab oder bietet diesen Menschen eine Perspektive, indem man sie in Arbeit bringt."