Süddeutsche Zeitung

Stilkritik:Männertränen

"Normal bin ich nicht so eine Pussy, aber das heute ist einfach heftig": Nach seiner wahrscheinlich letzten Medaille bei einer Ski-WM heulte Felix Neureuther vor Fernsehkameras Rotz und Wasser. Wir finden: herrlich!

Von Titus Arnu

Champions-League-Finale verloren! Hund gestorben! Beziehung futsch! Nur bei sehr tragischen Ereignissen trauen sich Männer wie Kinder zu weinen. Bei halbtragischen Ereignissen (Auto kaputt, Hase tot, Krebsdrama im Fernsehen) nuscheln sie lieber, sie hätten "da was im Auge". Klar haben sie da was im Auge: dicke Tränen. Nur kämpfen die meisten krampfhaft dagegen, dem Druck der Tränendrüse nachzugeben. Wie befreiend fühlt es sich an, wenn dann trotzdem alle Dämme brechen! Nach seiner wahrscheinlich letzten Medaille bei einer Ski-WM heulte Felix Neureuther vor Fernsehkameras am Sonntag Rotz und Wasser. Hinterher bat er schniefend um Entschuldigung: "Normal bin ich nicht so eine Pussy, aber das heute ist einfach heftig." Pussy? Heftig. Man hört die Gender-Kommissionen schon aufheulen. Und möchte gleich mitheulen. Warum Pussy? Und warum sorry? Weinen ist wunderbar. Um es in einer Sprache zu sagen, die Männer verstehen: Tränen sind eine Waschanlage für die Seele.

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Quelle:
SZ vom 21.02.2017
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