Stilkritik: Graue Haare

Heidi Klum, noch ganz ohne graues Haar, bei den Emmy Awards im September.

(Foto: Paul Buck/dpa)

Heidi Klum hat ein Foto für uns. Ein Beweisfoto, das wir gar nicht sehen wollen. Aber seien wir nicht so haarspalterisch!

Weisheit hatte früher viel mit Weißheit zu tun: je grauer, desto schlauer. Nachzulesen ist das in der Bibel (Buch der Sprüche 16,31): "Graue Haare sind eine Krone der Ehre; auf dem Weg der Gerechtigkeit wird sie gefunden." Die Weisheitsliteratur Salomos kennt heute kaum noch einer. Dieser Salomo hat ja nicht mal einen Account bei den sozialen Netzwerken. Das heutige Buch der Sprüche heißt Twitter, und dort haben selbst Prominente, die man ungern als weise bezeichnen möchte, mehr Follower, als die Propheten und die zwölf Apostel jemals gemeinsam hinter sich scharen konnten. 3,89 Millionen Menschen folgen Heidi Klum auf Twitter - nicht wegen ihrer weisen Sprüche, sondern vor allem wegen ihrer halbfreizügigen und halbpeinlichen Popo-Posts. Mit denen demonstriert die 43-Jährige gerne, wie jung und sexy sie noch ist. Und nun das: ein schonungsloses Scheitel-Selfie von Heidis Haupt. Dazu die Hiobsbotschaft: "Oh mein Gott. . . ich habe mein erstes graues Haar gefunden." Man muss nicht Gott sein und auch kein Weiser aus dem Morgenland, um zu erkennen, dass es weitaus grauenvollere Dinge gibt als ein einzelnes graues Haar. Vor allem, wenn dieses Haar auf dem Kopf einer komplett durchtrainierten und durchgestylten Blondine wächst, die als Berufsbezeichnung "Model, TV-Personality and Entrepreneur" angibt. Und um eine hoch bezahlte TV-Personality zu bleiben, muss man eben auf allen Kanälen Körperteilfotos posten und grobmaschig nach Komplimenten fischen. Für das haarige Foto bekam Klum viel Häme, aber auch mehr als 20 000 Likes. Die "Krone der Ehre" wird sie damit nicht verdienen. Es mag ungerecht und haarspalterisch klingen, aber man wäre auch mal froh gewesen, Heidi hätte kein Foto gehabt für uns.