Stilkritik:Bildungslücke

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Grünen-Politikerin Renate Künast hat Lincoln mit Washington verwechselt. Ist das so schlimm?

Von Marc Felix Serrao

In Fragen der Bildung gibt es zwei Gruppen. Die erste weiß ein bisschen Bescheid in der Welt, mal von Politik, mal von Thermodynamik. Vor allem aber ist sie sich ihrer Erkenntnislücken bewusst und auch bereit, diese zuzugeben. Die zweite Gruppe weiß auch ein bisschen Bescheid, versucht ihre Mängel aber wo es nur geht zu kaschieren. Sie ist vielleicht nicht die größere, aber immer die lautere der beiden Gruppen. Ihr größtes Glück findet sie darin, andere beim Nichtbescheidwissen zu ertappen. Jüngstes Opfer: Renate Künast.

Die Grünen-Politikerin weilt gerade in den USA und hat sich beim Besuch des Lincoln Memorials in der Hauptstadt einen Schnitzer geleistet. "Washington in Washington. Und ich", stand auf Künasts Facebookseite neben einem Foto, auf dem sie vor der Statue von Abraham Lincoln zu sehen war. Kurz darauf musste sie sich im Netz von sehr vielen Menschen sagen lassen, wie doof und "so was von AUTSCH" sie doch sei. Selbst eine hastige Korrektur konnte nicht verhindern, dass Bild Künast zum "Verlierer der Tages" kürte.

Aber mal ehrlich, wer hat noch nie ein Staatsoberhaupt, eine Stadt oder ein chemisches Element durcheinandergebracht? Der größte aller Feuilletonisten, zum Beispiel, der kürzlich verstorbene Fritz J. Raddatz, hatte Goethe in der Zeit einst ein Zitat über den Frankfurter Bahnhof in den Mund gelegt - dabei fuhr die erste deutsche Eisenbahn erst drei Jahre nach Goethes Tod. Oder Bundespräsident Heinrich Lübke: Der hat die japanische Stadt Osaka mal mit dem Potenzmittel Okasa verwechselt. Oder die Süddeutsche Zeitung. Deren schönste Korrektur aus diesem Jahr galt Jesus, der seinem Volk einst die Zehn Gebote mit auf den Weg gegeben habe: "Das ist falsch. Die Zehn Gebote gab Gott Moses stellvertretend für ,sein Volk'." Irren ist menschlich, und wenn man den Menschen betrachtet, muss man sagen: Irren ist göttlich. In dem Sinne: Guten Heimflug, Frau Künast!

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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