SZ-Serie "Ein Anruf bei...":"Sind da drinnen Verbrecher am Werk?"

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Normalerweise läuten die Glocken des Wiener Stephansdoms eher am helllichten Tag. (Foto: Fabian Nitschmann/dpa)

Mitten in der Nacht zu Mittwoch, um kurz nach zwei, läuten in Wien plötzlich die Glocken des Stephansdoms. Ein Hackerangriff. Auch Dompfarrer Toni Faber war ziemlich überrumpelt.

Interview von Moritz Geier

Über 22 Glocken verfügt der Wiener Stephansdom, es ist eines der größten Geläute-Ensembles der Welt. Am Mittwoch aber ertönten die Glocken zu ziemlich ungewöhnlicher Zeit: nachts um 2.11 Uhr. Ein Hacker war ins Computersystem des Doms eingedrungen - er nutzte den Umstand, dass für die Fernwartung (um die Glocken kümmert sich eine Firma aus Innsbruck) eine Internetverbindung bestand. Auch Dompfarrer Toni Faber, 60, hat das Gebimmel aus dem Schlaf gerissen.

SZ: Herr Faber, was macht ein Pfarrer, wenn die Glocken seines Doms auf einmal zu so unchristlicher Zeit läuten?

Toni Faber: Ich bin natürlich sofort dienstbeflissen in die Socken gesprungen und habe mich hineingeworfen, weil der Mesner nicht erreichbar war. Niemand war da, die Straßen waren menschenleer und das Glockengeläut war ohrenbetäubend.

Schon unheimlich.

Dann bin ich in den Dom hineingegangen, aber mit Vorsicht, ich wusste ja nicht, sind da drinnen Verbrecher am Werk? Es war aber alles zu. Die Alarmanlage ist angesprungen und ich wusste, dass dadurch die Polizei und der Portier verständigt werden. In der Zwischenzeit habe ich in der Sakristei versucht, das Glockengeläut selbst auszuschalten. Da stand ich dann vor diesem Tablet und dachte: Wo muss ich draufdrücken?

Es ist Ihnen gelungen. Nach 20 Minuten war es wieder still in Wien.

Ich war heilfroh, als es vorüber war! Aber weniger geschickt war, dass ich in der Aufregung alle Glocken auf einmal ausgeschaltet habe. Damit habe ich die Motoren fast überhitzt. Eigentlich sollte man eine Glocke nach der anderen wegschalten, damit das Geläut auch schön abgerundet wird.

Die Anwohner konnten das vermutlich verschmerzen, Herr Faber. Hat denn auch die Bieringerin geläutet, jene Glocke, die früher mal die Sperrstunde für die Bierstuben um den Dom ankündigte?

Der Hacker ist sehr zielsicher vorgegangen und kenntnisreich: Zuerst wurde das Festgeläute im Südturm eingeschaltet und danach die barocken Glocken im nördlichen Heidenturm, die Bieringerin, die Fehringerin, die Kantnerin.

Aha. Womöglich also ein Glockenliebhaber.

Nein, das Menü ist sehr einfach gestaltet, habe ich mir sagen lassen. Ich habe zuerst angenommen, dass es eine Attacke sein könnte im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg.

Ach, wirklich?

Wir hatten erst am Vorabend wieder ein Zeichen gesetzt: ein "No War"-Schriftzug auf den Gerüstplanen. Mein engster Mitarbeiter dagegen tippt, dass irgendein pubertierender Nerd in der Nacht einfach mal ausprobiert hat, was so möglich ist. Aber das ist natürlich alles Lesen im Kaffeesud.

Toni Faber, 60, ist seit 1999 Dompfarrer im Wiener Stephansdom. 2007 wurde ihm das Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. (Foto: Dompfarre.info/Suzy Stöckl/Dompfarre.info)

Auf Twitter war die Aufregung jedenfalls ganz schön groß.

Nicht nur im Internet. Ich habe zufälligerweise gestern Kindern die Erstbeichte abgenommen, die teilweise in der Innenstadt wohnen. Und die sind in der Nacht aufgewacht, haben die Fenster aufgemacht, sind auf die Dachterrasse gegangen, mit verschiedensten Ängsten. Bricht jetzt der Krieg aus? Gibt es einen Angriff? Was ist los? Die waren höchst emotionalisiert. Das glaubt man gar nicht, wie sehr die Österreicherinnen und Österreicher - und insbesondere Wiener - mit ihrem Stephansdom eins sind. Wie sehr das für alle ihr Herz ist.

Manche glaubten auch, der Papst sei gestorben.

Selbst wenn ich wach wäre und eine solche Nachricht bekäme, würde ich auch in diesem Fall auf den Morgen warten, sechs oder sieben Uhr, um dann mit der Pummerin zu läuten, der größten und schwersten Glocke Österreichs.

Eine weitere Glocke, die Feuerin, wurde früher geläutet, wenn es brannte in der Stadt. Würde die denn heute noch jemand erkennen?

Ich glaube nicht. Dafür haben wir heute Sirenen von der städtischen Feuerwehr.

Wird man da als Pfarrer nicht ein bisschen wehmütig, wenn man sieht, wie verwurzelt die Kirche mal war im Alltagsleben der Menschen?

Neeeee, es ist eine andere Zeit und die Umstände haben sich gewandelt. Aber als Pfarrer vom Stephansdom bin ich überall willkommen. Gestern habe ich die größte McDonald's-Filiale in Österreich gesegnet.

Und wann würden Sie selbst gerne mal die Glocken erklingen lassen, wenn das offiziell eigentlich gar nicht vorgesehen ist?

Wenn es Frieden in der Ukraine gibt. Sobald ein Friedensschluss unterzeichnet ist, würde ich sehr gerne mit allen Glocken läuten - mit dem Festtagsgeläut.

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Günter Pichler, 81, ist Prof. Mag. theol., Mag. rer. soc. oec., Lic. phil., Mag. DDr. phil., Mag. Dr. phil. fac. theol., Mag. Dr. iur, Bakk. theol., Bacc. theol., Bakk. phil., Bacc. phil. und neuerdings auch Lex legum Master. Wie kam es dazu?

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