30 Jahre „Stinkefinger“:Mach dich nicht zum Effe!

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Von Effenbergs berühmtem Stinkefinger während der WM 1994 gibt es keine Fotos. Als Illustration muss seit jeher also diese spaßhafte Trainingsszene mit Kollege Jürgen Kohler herhalten. (Foto: Michael Kunkel/Getty Images)

Wegen eines ausgestreckten Mittelfingers musste der deutsche Nationalspieler Stefan Effenberg vor genau 30 Jahren die Fußball-WM verlassen. Doch nie war die Geste beliebter als heute.

Von Martin Zips

Wer Freude an den leisen, feinen Gesten des menschlichen Alltags hat, der liest hier besser nicht weiter. Denn es soll um etwas gehen, das man hierzulande „Stinkefinger“ nennt – und schon das sagt ja was aus. In Frankreich immerhin spricht man von „le doigt d’honneur“, vom Finger der Ehre. Das klingt viel netter. Und im alten Rom hieß er „digitus impudicus“ – unanständiger Finger. Doch egal, wie man ihn auch nennt: Die Geste hatte, ähnlich dem ausgestreckten Arm, noch nie etwas Gutes. Und ja, natürlich spielt sie auf das männliche Geschlechtsteil an.

Dass wir uns hier überhaupt mit diesem, in der westlichen Welt als provokant zu verstehenden Fingerzeig auseinandersetzen, hat freilich mit dem Fußballspieler Effenberg zu tun. Jener Stefan Effenberg, über den Literaturreporter Volker Weidermann einmal sehr treffend schrieb, bei ihm habe sich „das Bündnis aus dem Willen zur Provokation und geistiger Schlichtheit“ offenbart (der Mittelfeldspieler hatte bei einer Vorstellung seiner Autobiografie im Jahr 2003 „Hitlers Tagebuch“ als für ihn besonders prägend bezeichnet). Vor exakt 30 Jahren soll der Sportler während einer Fußball-WM deutschen Fans seinen Mittelfinger gezeigt haben. Am 27. Juni 1994 war das, in Dallas. Die Fans sollen mit Effenbergs Leistungen zuvor recht unzufrieden gewesen sein und dies auch deutlich gemacht haben. Obwohl bis heute weder ein Videobeweis noch ein Foto von der Gebärde existieren, wurde er gleich anschließend aus der Nationalmannschaft geworfen. Zuletzt soll Effenberg beim damaligen Drittligisten KFC Uerdingen 05 gesehen worden sein.

Auch Greta Thunberg bediente sich der Geste

In Deutschland jedenfalls kennt man seine Geste seitdem als „Effenberg-Finger“ – und dieser kann, etwa zur Aufmerksamkeit im morgendlichen Berufsverkehr mahnend, auch mal teuer werden.

Doch selbst, wenn es der Finger – welch Fortschritt für die menschliche Kommunikation! – längst in die Emoji-Listen geschafft hat und in den sozialen Medien mindestens so häufig anzutreffen ist wie der grinsende Kackhaufen: Erfunden hat Effenberg die Geste nicht. Denn bereits in der antiken griechischen Komödie war der ausgestreckte Mittelfinger als „Katapygon“ beliebt, der – daran erinnert auch das in Italien meist begleitend dazu ausgerufene „vaffanculo“ – nur einer einzigen Körperöffnung vorbehalten ist.

Zusammenfassend muss in diesem Jubiläumstext allerdings vom öffentlichen Gebrauch des Mittelfingers (vor gut hundert Jahren war er auch schon in einem Stummfilm des US-Komikers Harold Lloyd zu sehen, zuletzt wurde er von Greta Thunberg recht beherzt eingesetzt) dringend abgeraten werden. Denn gerade in lauten Zeiten sollten wieder leise Töne zum Einsatz kommen: eine freundliche Umarmung etwa, wie sie der große, für Toleranz und Respekt eintretende französische Fußballer Kylian Mbappé gerade neben Polens Przemysław Frankowski im Dortmunder Westfalenstadion zeigte. Ein zurückhaltender Handkuss, mit dem sich der Ungar Dominik Szoboszlai in Stuttgart bei seinen Fans bedankte.

Da war endlich mal nichts zu spüren von Provokation oder bewusst ausgestellter geistiger Schlichtheit. Denen nämlich sollte man, aber das ist jetzt wirklich nur eine Ausnahme, immer wieder mal seinen Stinkefinger zeigen.

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