Statistisches Bundesamt:84 200 Kinder von Jugendämtern in Obhut genommen

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Die Zahl der Inobhutnahmen wächst weiter. (Foto: dpa)

Noch nie war die Zahl so hoch wie 2016. Der Zuwachs von 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr liegt an allein reisenden minderjährigen Flüchtlingen - aber nicht nur.

Die deutschen Jugendämter haben im vergangenen Jahr erneut mehr Kinder und Jugendliche unter ihren Schutz gestellt. Die Zahl der sogenannten Inobhutnahmen stieg verglichen mit dem Jahr 2015 um 6600 oder 8,5 Prozent auf 84 200, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte.

Die Arbeiterwohlfahrt und die Unions-Bundestagsfraktion zeigten sich besorgt. Die Zahl stieg allerdings weit weniger stark als 2015. Damals war ein Plus um 61,6 Prozent verzeichnet worden. Hauptgrund für das "anhaltend hohe Niveau der Inobhutnahmen" sei die Einreise unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, teilte das Bundesamt mit.

Seit 2013 habe sich die Zahl der Inobhutnahmen durch die Jugendämter in etwa verdoppelt. Von den im vorigen Jahr unter Schutz gestellten 84 200 jungen Menschen waren demnach 44 900 - also mehr als die Hälfte - unbegleitete Flüchtlinge. Die Zahl dieser Fälle stieg im Vergleich zum Vorjahr erneut um 2600 oder 6,2 Prozent.

Auch bei den Inobhutnahmen aus anderen Gründen gab es im Jahresvergleich einen Anstieg - und zwar um etwa 4000 auf 39.295 Fälle. Dabei handelt es sich um Fälle, in denen die Behörden wegen dauerhaft überforderter Eltern, Beziehungsproblemen oder zum Schutz vor Vernachlässigung und Misshandlung einschritten.

Die Arbeiterwohlfahrt forderte deshalb mehr Unterstützung durch den Staat. "Es zeigt sich, dass zu viele Familienstrukturen überlastet sind und leider nicht zum Wohl ihrer Kinder beitragen", erklärte der Vorsitzende des Wohlfahrtsverbands, Wolfgang Stadler, in Berlin. Die Hilfsstrukturen müssten ausgebaut, der Kinderschutz ernster genommen werden.

Auch die Unionsfraktion im Bundestag äußerte sich besorgt über den Anstieg der Inobhutnahmen ohne Bezug zu Flüchtlingen. Es müsse geklärt werden, warum der Staat immer mehr Kinder aus Familien herausnehme, sagte der familienpolitische Sprecher Marcus Weinberg (CDU). An der Höhe der Ausgaben "dürfte es weniger liegen". Die Hilfen zur Erziehung seien allein von 2014 auf 2015 um eine Milliarde Euro aufgestockt worden.

Die Jugendämter sind verpflichtet, bei akuten Krisen- und Gefahrensituationen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen tätig zu werden. Bis eine Lösung gefunden ist, werden die Minderjährigen zeitweise in Obhut genommen und gegebenenfalls in einem Heim oder bei einer Pflegefamilie untergebracht. 21 700 der im vorigen Jahr in Obhut genommenen Kinder waren laut Statistik jünger als 14 Jahre. In dieser Altersgruppe wurden die Kinder am häufigsten wegen Überforderung der Eltern und zum Schutz vor Vernachlässigung in Obhut genommen. Bei den 14- bis 17-Jährigen leiteten die Ämter Schutzmaßnahmen bei 62 500 Jugendlichen ein - ganz überwiegend nach unbegleiteter Einreise aus dem Ausland.

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