Süddeutsche Zeitung

Statistik:Die Schwabisierung Berlins - als Mythos entlarvt

In Berlin machen sich die Schwaben breit? Von wegen. Die "Berliner Morgenpost" räumt mit einem großen Datenprojekt mit dem Vorurteil auf.

Von Dominik Fürst

Der Schwabe hat es nicht leicht. Er gilt als geizig und spießig, er redet komisch und ausgerechnet in der Bundeshauptstadt kann ihn niemand leiden. "Schwabenhass" hat sich als Begriff etabliert. Es heißt, vor allem die Stuttgarter machten sich in Berlin, vorzugsweise im schönen Bezirk Prenzlauer Berg, breit und veränderten Stadtbild und -klima auf unangenehme Weise. Man könnte sogar sagen, bis der Flüchtling gekommen ist, hat der Schwabe unter manchen Einheimischen die meiste Abscheu ausgelöst.

Schwaben, aufgepasst: Die Berliner Morgenpost ist dem Vorurteil jetzt mit einem großen Datenprojekt entgegengetreten. Die Zeitung hat unter dem Titel "Woher die Berliner wirklich kommen" einen Atlas der Zugereisten erstellt, ein Ranking der Städte, aus denen es die meisten Menschen in die Hauptstadt verschlagen hat. Und da landet Stuttgart lediglich auf Platz zwölf. Mit mickrigen 8117 Möchtegern-Berlinern.

Stuttgart ist nicht gleich Schwaben, schon klar, aber man sucht vergeblich, wenn man auf der Liste eine weitere Stadt aus dem süddeutsch-schwäbischen Raum finden möchte. Tübingen, Heilbronn, Ulm: Sie tauchen in den Top 100 nicht einmal auf, im Gegensatz zu, sagen wir: Teheran (5042 Zugezogene), Beirut (4846) und Kaliningrad (2794).

Was nun? Von Wolfgang Thierse ist noch keine Stellungnahme zu vernehmen. Der frühere Bundestagspräsident hatte den Schwabenhass ja quasi offiziell etabliert, als er vor zwei Jahren sagte: "Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche." Wie steht es um die berufliche Zukunft der Komikerin mit dem Namen "Prenzlschwäbin"? Funktionieren ihre Witze noch, die ja auf dem Vorurteil vom sich in Berlin ausbreitenden Schwaben basieren?

Der Zugezogenen-Atlas der Berliner Morgenpost könnte ein paar Menschen verunsichern. Mit Vorurteilen lebt es sich bekanntlich nur so lange leicht, bis sie entkräftet sind. Die Folgen sind noch nicht abzusehen. Eine Prognose: Die meistgehassten Menschen in Berlin werden jetzt die Hamburger. Sie führen das Ranking mit 20 956 Zugezogenen tatsächlich an. (Womöglich sind die zurückhaltenden Norddeutschen bislang nur nicht aufgefallen, weil sie sich besser ins Berliner Stadtbild einfügen.)

Die Schwaben hingegen dürfen aufatmen. Sie haben es, siehe oben, schwer genug. Es ist ja noch nicht einmal klar, wo genau sie zu Hause sind: "Der Umfang Schwabens ist heute diffus und territorial nicht fassbar", heißt es bei Wikipedia. Jetzt steht jedenfalls fest, dass er sich nicht bis nach Berlin erstreckt.

Das Ranking

1. Hamburg, 20 956 Zugezogene

2. Dresden, 17 578 Zugezogene

3. Leipzig, 17 561 Zugezogene

4. Potsdam, 15 898 Zugezogene

5. München, 12 896 Zugezogene

6. Halle (Saale), 10 6127 Zugezogene

7. Rostock, 10 091 Zugezogene

8. Frankfurt (Oder), 9770 Zugezogene

9. Magdeburg, 9677 Zugezogene

10. Hannover, 9372 Zugezogene

11. Frankfurt am Main, 8511 Zugezogene

12. Stuttgart, 8117 Zugezogene

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