Stammheim:Osmanen Germania wird der Prozess gemacht

Warum die türkisch-nationalistische Straßengang so gefährlich ist.

Von Anna Fischhaber und Oliver Klasen

Beginn Prozess gegen Osmanen Germania in Stuttgart

Sicherheitsvorkehrungen in Stammheim: Acht Rocker standen vor Gericht.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Um das Gefängnis in Stammheim sind Straßenkontrollen aufgebaut, zahlreiche Polizisten sind im Einsatz, Hubschrauber kreisen über dem Justizgebäude. Man gehe von einer Bedrohungslage aus, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft, ohne Details zu nennen. Vor Gericht stehen an diesem Montag acht Männer im Alter zwischen 19 und 46 Jahren. Sie sollen führende Mitglieder der türkisch-nationalistischen Rockerguppe "Osmanen Germania Boxclub" sein, unter ihnen der selbst ernannte "Weltpräsident" der Gruppe.

Worum geht es in dem Prozess?

Die Liste der Vorwürfe ist lang: Es geht um versuchten Mord, versuchten Totschlag, gefährliche Körperverletzung, Zuhälterei, räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung sowie diverse Waffen- und Drogendelikte. Wie brutal die Gruppe vorging, zeigt etwa der Fall von Ex-Mitglied Celal S. Weil er gegen den Ehrenkodex verstieß, sollen ihn seine Kameraden tagelang gefoltert haben, berichtete der Spiegel. Man schlug ihm Zähne aus, schoss ihm in den Oberschenkel und versuchte, ihm mit einer Rasierklinge das Ohr abzuschneiden.

Wer sind die Osmanen Germania?

Der Boxclub, der vor allem in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg aktiv ist und von sich selbst gerne behauptet, er würde Jugendliche von der Straße holen, gilt als eine der am schnellsten wachsenden rockerähnlichen Gruppierungen in Deutschland. Anders als die Hells Angels oder die Bandidos, die seit Jahrzehnten aktiv sind, wurde der Boxclub erst 2015 gegründet. Oliver Huth, Experte für organisierte Kriminalität und stellvertretender Landesvorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter in Nordrhein-Westfalen, geht von einer vierstelligen Mitgliederzahl aus. Das ist nicht ungewöhnlich. Laut Huth gibt es etwa 20 solcher Rockergruppen in Deutschland.

"Die Clubs zeichnen ähnliche Dinge aus", sagt Huth. "Man gibt sich eine Identität durch eine Art Uniform und versucht, über das Gemeinschaftsgefühl Mitglieder zu gewinnen." Die Clubs verdienten ihr Geld im kriminellen Milieu und seien sehr hierarchisch organisiert. "Sie ermöglichen so bildungsfernen Schichten eine Art Karriere, wenn man nur lange genug dabei ist." Die Osmanen Germania unterscheide vor allem, dass sie in Autos und nicht auf Motorrädern unterwegs seien. Zudem setzen sie extrem auf Öffentlichkeit bei der Mitgliederwerbung: "Sie ziehen mit ihren Kutten durch die Innenstädte, posten Fotos davon im Internet und zeigen so anderen Gangs: Das ist jetzt meine Stadt."

Welche politischen Verbindungen hat die Gruppe?

Die meisten Mitglieder der Osmanen Germania sind türkische Staatsangehörige oder stammen aus der Türkei, immer wieder gab es Auseinandersetzungen mit verfeindeten kurdischen Gangs. Bislang wird der Club vom Verfassungsschutz nicht beobachtet. Dabei sind mögliche Verbindungen in politische Kreise durchaus interessant. Nach Einschätzung des NRW-Innenministeriums steht die Gruppe in Kontakt zum Umfeld des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. "Es gibt Gerüchte über eine finanzielle Unterstützung. Gesichert ist der Informationsaustausch mit AKP-Mitgliedern in Deutschland", sagt Huth.

Wie geht es mit dem Club weiter?

Vor knapp zwei Wochen durchsuchten Ermittler bundesweit Räume des Vereins. Das Innenministerium in NRW wollte Informationen sammeln, um gegebenenfalls ein Verbot durchzusetzen. Parallel läuft nun in Baden-Württemberg der Prozess. 50 Verhandlungstage sind bis Januar 2019 angesetzt. Dass eine Verurteilung des "Weltpräsidenten" das Ende bedeutet, glaubt allerdings kaum jemand. Auch Huth nicht. "Solche Führungsfiguren sind austauschbar."

Aktuelles Lexikon: Stammheim

Straßensperren, Hubschrauber, ein Großaufgebot der Polizei: Die Szenerie vor dem Gefängnis Stuttgart-Stammheim erinnerte an diesem Montag an die finsteren Wochen des "Deutschen Herbstes" 1977. Die düstere, festungsartige Anlage von Stammheim wurde damals zum Symbol für den Konflikt zwischen Staat und Linksterroristen. Die RAF versuchte vergeblich, ihre im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim einsitzenden Führungskader freizupressen. Die Sympathisantenszene warf dem Staat "Isolationsfolter" vor, weil für die RAF-Häftlinge während dieser Wochen ein Kontaktverbot galt. In der "Nacht von Stammheim" am 18. Oktober 1977 nahmen sich Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe das Leben. Lange Zeit wirkte die Behauptung nach, die prominenten Häftlinge seien vom Staat ermordet worden. Mehr als 40 Jahre nach dem Drama von Stammheim hat in der Anlage nun der Prozess gegen acht Angeklagte der Rockergruppe "Osmanen Germania" begonnen. In einem 1974 erbauten Gerichtsgebäude, das sich aus Sicherheitsgründen im Inneren der Haftanstalt befindet. Dort fanden auch die RAF-Prozesse statt; wegen eines Neubaus soll dieses abgerissen werden, wogegen sich das baden-württembergische Haus der Geschichte ausgesprochen hat. Joachim Käppner

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