Stalking-Opfer seit 25 Jahren:Und immer wieder dieses Klingeln

Lesezeit: 4 Min.

Seit 25 Jahren muss Uwe Kisker einen Stalker ertragen. (Bild: Jannis Brühl) (Foto: Jannis Brühl)
  • Seit einem Vierteljahrhundert wird der Dortmunder Moderator Uwe Kisker per Telefon, Fax, Mail und SMS bedroht.
  • Einmal stand sein Stalker sogar vor seiner Tür. Es geht ihm wohl um Kiskers Ehefrau, zumindest am Anfang.
  • Kisker will, dass sein Stalker endlich verurteilt wird. Aber so einfach ist das nicht.

Von Jannis Brühl, Dortmund

Einmal tauchte ein Tyrannosaurus Rex bei Uwe Kisker auf. Der Stalker hatte ihm ein Fax geschickt, darauf eine Kohlezeichnung des Dinosauriers. Eine Fratze, Zähne, Krallen, dazu eine wirre Drohung. Kisker sollte sich im eigenen Haus nicht sicher fühlen.

Verstörende Nachrichten, Beleidigungen, und wieder und wieder das Klingeln des Telefons. Damit lebt der Dortmunder Moderator Uwe Kisker - seit 25 Jahren. Der 54-Jährige mit dem grauen Bürstenschnitt sagt: "Wenn das Handy mit anonymer Nummer klingelt, bekomme ich sofort hohen Blutdruck, mir wird heiß und schwindelig."

"Das klingt nach einer schweren Persönlichkeitsstörung"

Dass ein Mensch einem anderen über so einen langen Zeitraum nachstellt, finden selbst erfahrene Stalking-Experten bemerkenswert, wie Wolf Ortiz-Müller von der Berliner Einrichtung "Stop Stalking": "Das klingt schon nach einem Wahn oder einer schweren Persönlichkeitsstörung." Die meisten der mehr als 25 000 Stalking-Opfer aus der Kriminalstatistik von 2013 hätten irgendwann Ruhe, notfalls mit juristischen Mitteln. Uwe Kisker nicht. Er sagt: "Manchmal kauere ich mich in die Ecke und kann nicht mehr."

Es habe über die Jahre immer wieder Pausen von wenigen Wochen gegeben. Doch auch 2014 habe der Stalker zwei- bis fünfmal im Monat angerufen, 20 bis 60 Anrufe auf einmal: "Der hat einen Rhythmus", sagt Kisker. Der Anrufer sage seit Jahren nichts mehr, aber Kisker ist überzeugt, dass er den Mann kennt. Er wohne in der Nähe: "Der hat nicht mehr alle Tassen im Schrank", sagt Kisker.

Was den Anrufer antreibt, sage der selbst am Telefon immer wieder: "Ich ruf' so lange an, bis ich die Tina habe." Tina ist Kiskers Frau, um sie ging es zumindest am Anfang. Mit den Schwiegereltern hat er die Sache einmal rekonstruiert: Anfang der Achtziger lernte sie, noch als Mädchen, einen Teenager im Urlaub kennen. Es lief nichts, auch keine Freundschaft, beteuern die Kiskers. Sieben Jahre später beschloss der Teenager, nun erwachsen, dass die Frau ihm zustehe. Der Terror begann.

Erst bekamen Kiskers Schwiegereltern Taxis und einen Kohlelaster vor die Tür bestellt. Ein misstrauischer Bestattungsunternehmer meldete sich: Ein Leichenwagen sei zu dem Ehepaar gerufen worden. Das Telefon klingelte Tag und Nacht, Tinas Mutter bekam Herzprobleme.

Eine Fratze, Zähne, Krallen, dazu eine wirre Drohung: Ein T-Rex sollte Uwe Kisker einschüchtern. (Foto: Jannis Brühl)

Mit der Zeit konzentrierte sich der Stalker ganz auf Kisker. "Ich bring' euch auseinander", zischte er in den Hörer. Dass seine Angebetete, die ihn kaum kannte, verheiratet war, war ihm offensichtlich egal. Dazu kamen Beleidigungen wie "Du Wichser" und Drohungen mit "harten Mitteln". Auf Schreiben von Kiskers Anwalt reagierte der Stalker nicht, Geld für Schmerzenszahlungen hatte er nicht. Kiskers Mantra ist mittlerweile: "Das Telefon kann eine Waffe sein."

Er ist aber kein Opfer, das sich in sein Schicksal fügt. Gelernt hat Kisker Schlosser, er arbeitet hauptberuflich bei einem Baumaschinenhersteller. Seine großen Leidenschaften sind aber Sport und Fernsehenmachen. Auf dem Offenen Kanal berichtet er über Kreisligaspiele, das kommt gut an im fußballverrückten Ruhrgebiet. Außerdem moderiert er Schlagerpartys. Sein Vorbild heißt Dieter Thomas Heck. Kisker sagt: "Wenn ich durch Dortmund geh', kennt mich eigentlich jeder. Ich hab vor der Kamera so mein Maul aufgemacht, wie ich auf der Straße oder in der Kneipe rede."

Einmal tauchte der Stalker im "Negerdorf" auf, der ehemaligen Bergmannsiedlung, in der Kisker lebt. Den Namen bekam sie in politisch weniger korrekten Zeiten wegen der von der Kohle schwarzen Gesichter der Kumpel, die hier lebten. Der ungebetene Gast hämmerte an die Tür, wollte "die Tina" mitnehmen. Es kam zum Prozess.

Nach einer Bewährungsstrafe des Stalkers begannen die Anrufe erneut und hörten nicht mehr auf. Sie kamen irgendwann vom Handy statt vom Festnetz, statt Faxen wurden nun E-Mails geschickt. Im Jahr 2008 setzte heftiger Regen die Stadt Dortmund einmal unter Wasser. Und Uwe Kisker erhielt schon wieder eine Mail: "Du Schweinehund, warum bist du nicht abgesoffen?"

Mittlerweile hat der Moderator seine Frau und die zwei Kinder von allen Anrufen isoliert. Sie haben Geheimnummern. Nur er hat eine Nummer, die im Internet steht. Er muss schließlich erreichbar sein, für sein TV-Team.

Kisker will, dass der Stalker endlich verurteilt wird

Das Fax mit dem Tyrannosaurus Rex hebt er in einem Aktenordner auf. Zusammen mit dem Brief der Telekom, die per Fangschaltung 3100 Anrufe in 21 Tagen von derselben Nummer zählte. Dazu ein Attest, das ihm Bluthochdruck und andere Probleme bescheinigt - und Dutzende weiterer Dokumente. Es ist die Bürokratie eines Stalkingopfers, zu der auch Beratungsstellen raten. Nach Jahren der Archivarbeit kommt der Ordner jetzt zum Einsatz. Kisker hat ihn zum Staatsanwalt geschleppt.

Auslöser war ein Anruf im November - nachts um halb vier. Ohne unterdrückte Rufnummer. Die Nummer gehöre dem Mann, der ihn seit Langem terrorisiert, sagt Kisker: "Er hat es übertrieben. Ich bin fast durchgedreht." Er will, dass der Stalker endlich verurteilt wird. Aber so einfach ist das nicht.

Kisker berichtet von Schlafstörungen, Angstzuständen im Dunkeln: "Ich krieg den Gedanken nicht los, dass er irgendwann vor mir steht." Doch die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren zuerst ein. Denn der Paragraf, der Stalking 2007 zur Straftat machte, erfordert eine "schwerwiegende Beeinträchtigung" der Lebensführung. Aber wann ist eine Beeinträchtigung "schwerwiegend"? In Kiskers Fall musste er sich mit seinem Ordner erst an lokale Medien, dann noch einmal an den Staatsanwalt persönlich wenden, damit der vergangene Woche doch noch ein Verfahren einleitete.

Kisker stellt jetzt einen kleinen Lautsprecher auf seinen Wohnzimmertisch und steuert diesen mit seinem Smartphone an. Ein Telefonat ist zu hören, er hat es vor Jahren aufgezeichnet. Die Stimme des Anrufers, scharf, gepresst: "Habt ihr schon mal ,Backdraft' gesehen, wie ein Häuschen schön brennt? Müsst ihr euch mal anschauen."

In dem Film geht es um die Jagd auf einen Brandstifter.

© SZ vom 14.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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