"Staat" im Meer:Die Insel der Verrückten

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Vor 40 Jahren schuf sich ein Brite auf einer ungenutzten Nordsee-Plattform sein eigenes Fürstentum samt Piratensender - nun soll Sealand verkauft werden.

Martin Zips

Es war in den sechziger Jahren, als sich der britische Kriegsveteran Major Paddy Roy Bates auf einer ungenutzten Nordsee-Plattform ein eigenes Fürstentum errichtete.

Sealand, der kleinste Staat der Welt - wenn es nach Fürst und Fürstin geht. (Foto: Foto: AP)

Von hier aus, zehn Kilometer vor der englischen Küste, hatten britische Soldaten im Zweiten Weltkrieg deutsche Flieger abgewehrt. 1967 dann besetzte Bates mit seiner Frau Joan, einer ehemaligen Miss England, sowie ein paar Unterstützern die zwei Betonpfeiler plus Stahlplatte im Meer.

Roy und Joan nannten sich Fürst und Fürstin, und die Plattform nannten sie Sealand. Jetzt wollen sie ihr Fürstentum verkaufen.

Sealand besitzt als selbsterklärter - wenn auch international nicht anerkannter - ,,kleinster Staat der Welt'' eine Nationalhymne (international nicht anerkannt), eine Art Personalausweis (nicht anerkannt), eine Währung (nicht anerkannt), eigene Briefmarken, Steuern und ein Football-Team (alles nicht anerkannt) sowie eine unbestritten hochinteressante Historie.

Als Teil einer Seefestung zur Abwehr von Angreifern wurde die Plattform - damals hieß sie noch Roughs Tower - im Februar 1942 vom britischen Militär in eine Sandbank gerammt. Elf Jahre nach Kriegsende verließen die Soldaten die sieben Stockwerke hohe Konstruktion, wie auch viele ähnliche Plattformen in der Nordsee.

Kampf der Radio-Piraten

Mitte der Sechziger begannen sich ein paar eher unkonventionelle Radiomacher für die Bauten zu interessieren. Von hier aus glaubten sie, munter gegen das verhasste BBC-Monopol ansenden zu dürfen, ohne dafür von britischen Behörden belangt zu werden. Plötzlich waren die Ungetüme auf hoher See heiß umkämpft.

Ex-Major Paddy Roy Bates beispielsweise, damals ebenfalls Mitglied in der Radiopiraten-Szene, vertrieb zunächst konkurrierende Hobbyfunker von der Nordsee-Plattform Knock John Tower, um von dort senden zu können.

Weil aber Knock John Tower nicht abgelegen genug war und Bates wegen Verstoßes gegen das Rundfunkgesetz angeklagt wurde, enterte er die bis zu diesem Zeitpunkt von einem irischen Musikmanager besetzte Plattform Roughs Tower außerhalb der britischen Hoheitszone.

Der Ire, der auf dieser Plattform schon vor Bates einen Piratensender errichten wollte, war von der Übernahme nicht erfreut und startete mit seinen Gefolgsleuten einen Versuch, die bereits zum ,,Fürstentum Sealand'' ausgerufene Plattform zurückzuerobern. Doch dem ehemaligen Soldaten Bates, nunmehr Fürst Roy, gelang es, die Insel mit Benzinbomben zu verteidigen. Er hatte es sich auf ihr mit ein paar merkwürdigen Typen bereits recht bequem gemacht.

Als Nächstes versuchte die Royal Navy, die Sealand-Plattform zurückzuerobern. Doch als der Fürst das Schießen begann, drehten ihre Boote schnell wieder ab. Wegen einer albernen Plattform in den Krieg zu ziehen, darauf hatte im Jahr 1967 nun wirklich keiner Lust.

Eine Klage gegen den schießwütigen Fürsten blieb in England folgenlos. Ein Gericht in Chelmsford erklärte sich für nicht zuständig, schließlich habe sich der Vorfall ja in internationalen Gewässern ereignet. Fürst Roy wiederum verweigerte beharrlich die Zahlung von Steuern und Sozialabgaben. Er argumentierte, das Gericht habe ja erklärt, dass Sealand kein Teil Großbritanniens sei.

1975 schenkte Roy seinem Fürstentum eine Verfassung und plante ganz ernsthaft die Errichtung eines Steuerparadieses in der Nordsee. Seine zwielichtigen Geschäftspartner aus Deutschland und den Niederlanden aber nutzten eine kurzzeitige Abwesenheit des Oberhauptes zum Putsch und schoben den Sohn des Fürsten auf einem Kutter nach Holland ab.

Irgendwie waren einem die komischen Typen ans Herz gewachsen

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war es auch hartnäckigsten Beobachtern der Geschehnisse auf Sealand nicht mehr ganz klar, wo genau im Fürstentum die Grenzen zwischen Spaß und Ernst verliefen. Roy jedenfalls engagierte eine Art Söldner-Armee und eroberte seine Festung zurück.

1987 dehnte Großbritannien seine Hoheitsgewässer auf eine Zwölfmeilenzone um die Küste aus. Nun hätte eigentlich Ruhe auf Sealand sein müssen. Aber auch auf der Plattform erklärte man seinen Anspruch auf eine Zwölfmeilenzone. Großbritannien schwieg. Irgendwie waren einem die komischen Typen auf der Metallplatte ja ans Herz gewachsen. Fürst Roy versuchte, neue Geschäftsfelder zu erschließen.

Mal verhandelte er mit Briefkastenfirmen, dann mit Computerspezialisten. Als aber 1997 beim Mörder des Modeschöpfers Gianni Versace ein rätselhafter Pass mit dem Schriftzug ,,Sealand'' gefunden wurde und die spanische Polizei einem Verbrecherring auf die Spur kam, der mit Sealand-Pässen (offenbar ohne Wissen des Fürsten) handelte, war das Image der Plattform schwer beschädigt.

750.000 Euro für die Insel

Vor sechs Monaten dann: Feuer! Elektrischer Defekt im Generatorenraum. Erheblicher Sachschaden. Die Sealand-Homepage meldet, man habe nach Aufräumarbeiten und Spendensammlungen einem britischen Bauunternehmer ,,den Auftrag zum Wiederaufbau des Landes'' gegeben.

Roy, 85, hat vor acht Jahren das Zepter an seinen Sohn Michael abgegeben. Derzeit wird Sealand über eine spanische Immobilienfirma für 750.000 Euro zum Verkauf angeboten. Zuletzt soll nur noch ein einsamer Wachmann auf Sealand zu sehen gewesen sein.

© SZ vom 9.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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