Süddeutsche Zeitung

Sicherheit:Übergriffe gegen Bahnpersonal nehmen zu

Spucken, schubsen, schlagen: Nie zuvor hat es so viele Angriffe gegen Mitarbeiter der Deutschen Bahn gegeben wie im vergangenen Jahr. 1199 Mal wurden Sicherheitsleute und Zugbegleiter nach SZ-Informationen Opfer von Körperverletzungen.

Von Daniela Kuhr, Berlin

Diesen Vorfall wird die 54-jährige Mitarbeiterin der Deutschen Bahn noch lange mit sich herumtragen: Es war ein Sonntagnachmittag im März, etwa 16 Uhr, als sie mit ihrem Kollegen im Kölner Hauptbahnhof auf Streife war. Beide trugen ihre Dienstkleidung mit der Aufschrift DB Sicherheit. Sie entdeckten einen freilaufenden Schäferhund und baten seinen Besitzer, ihn anzuleinen. Doch der 49-Jährige zeigte sich "uneinsichtig", wie es später im Protokoll hieß. Stattdessen hetzte er seinen Hund auf die Frau. Sie erlitt schmerzhafte Bisswunden am Oberschenkel und musste ins Krankenhaus. Der Mann wurde festgenommen.

Es ist einer der schwersten Vorfälle der vergangenen Monate, doch die Zahl der Übergriffe gegen Mitarbeiter der Bahn steigt seit Jahren stetig an. 2013 erreichte sie einen neuen Rekord: Ganze 1199-mal wurden Sicherheitsleute und Zugbegleiter Opfer von Körperverletzungen. Das geht aus dem Sicherheitsbericht hervor, den die Bahn an diesem Mittwoch vorstellen wird. Im Jahr zuvor waren es noch etwa 200 Vorfälle weniger gewesen. Es scheint ein gesamtgesellschaftliches Phänomen zu sein, auch Übergriffe gegen Polizisten nehmen zu. Bei der Bahn ist man dennoch alarmiert über den 20-prozentigen Anstieg. "Unsere Kollegen sind kein Freiwild", sagt Gerd Becht, der im Konzernvorstand für das Thema Sicherheit zuständig ist. "Wir dulden keine Gewalt."

Brenzlige Situationen kommen häufig überraschend

In zwei von drei Fällen richten sich die Aggressionen gegen Mitarbeiter der Bahntochter DB Sicherheit, der Rest betrifft vor allem Zugbegleiter. Häufig kommt die brenzlige Situation für sie überraschend. Beispielsweise rastet ein Fahrgast bei der Kontrolle plötzlich aus und bespuckt den Schaffner. Oder ein Vater mit Kind ist in einem vollbesetzten ICE so gestresst, dass er handgreiflich wird. Oder ein Reisender, der wegen einer Verspätung empört ist, schüttet der Bedienung im Bordbistro unvermittelt heißen Kaffee über.

An den Bahnhöfen sind es vor allem die Sicherheitsleute, die angegriffen werden. Ein Grund dafür dürfte das neue Sicherheitskonzept sein. 2011 hatte die Bahn das Sicherheitspersonal von 3200 auf 3700 Mitarbeiter aufgestockt. Seither gehen die Kollegen ganz gezielt zu kritischen Zeiten in Brennpunkte. Das kann der große Bahnhof einer Stadt sein, in der ein heikles Fußballspiel stattfindet. Oder auch der kleinere Bahnhof, in dessen Nähe sich eine Diskothek befindet, sodass dort freitagabends regelmäßig betrunkene Jugendliche aufeinandertreffen.

Je häufiger man aber Brennpunkte aufsucht, umso größer die Gefahr von Übergriffen. Reiner Bieck, Vorstand der Eisenbahngewerkschaft EVG, meint, die Länder, die den Nahverkehr bestellen, sollten mehr Geld bereitstellen, damit die Mitarbeiter immer zu mehreren auftreten könnten. Auch müsse die Bahn die Kollegen besser schulen. Doch laut dem Unternehmen sind sie bereits jetzt mindestens zu zweit unterwegs und werden jedes Jahr sechs Tage lang geschult, um deeskalierendes Verhalten zu trainieren. Man wolle aber künftig jeden Vorfall noch genauer analysieren, um herauszufinden, wie die Mitarbeiter besser geschützt werden können, hieß es. Vorstand Becht sagt, er suche "mit den Gewerkschaften den Schulterschluss, um das Problem in den Griff zu kriegen".

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SZ vom 07.04.2014/sks
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