Sprengung des AfE-Turms in Frankfurt:Wie aus dem Bilderbuch

A combination of pictures shows the Goethe University AfE tower as it collapses during controlled implosions in Frankfurt

Ein Knall, ein Fall, eine Staubwolke: So schnell verabschiedete sich der AfE-Turm in Frankfurt.

(Foto: REUTERS)

In Frankfurts Skyline fehlt seit heute Morgen ein Hochhaus. Als riesiger Trümmerhaufen liegt der AfE-Turm nach 42 Jahren Standhaftigkeit auf dem Boden. Als letzten Gruß sendete er eine gigantische Staubwolke, konnte der Stadt aber ansonsten nichts anhaben.

Von Jana Stegemann, Frankfurt am Main

Auf diesen Tag hat er ein Jahr hingearbeitet: Als Sprengmeister Eduard Reisch um 9.34 Uhr am Danteplatz auftaucht, ist er sofort von einer Menschenmasse aus Einsatzkräften in leuchtenden Warnwesten umringt. Reisch geht zu dem einfachen Tisch, auf dem ein orangefarbener Koffer steht, der Zündcomputer. Er gibt kurze Anweisungen, tauscht sich mit seinem 35-köpfigen Team aus - und wirkt dabei seelenruhig. Nicht wie jemand, der in wenigen Minuten eine knappe Tonne Sprengstoff zünden wird, um das höchste jemals gesprengte Gebäude in Europa in Schutt und Asche zu legen. Er hat fünf Stunden geschlafen: "Ich bin ausgeschlafen", sagt er.

Richard Lankes, der für Reisch die Berechnungen gemacht hat, sieht man die Nervosität dagegen an. In einem Pulk von Mitarbeitern wartet der Sprengberechtigte der Bundeswehr aus Ingolstadt auf den finalen Moment. Bei den Schaulustigen hinter den Absperrgittern herrscht Verwirrung. 10 Uhr ist vorbei, der Turm steht noch. Wann geht es denn endlich los? Einer von Reischs Mitarbeitern beschwichtigt. Es dauere noch wenige Minuten, aber es laufe alles nach Plan. Um 10.03 Uhr ertönt dann ein Sprengsignal, wenig später folgt ein zweites. Jetzt der Countdown; Reisch selbst zählt mit herunter. Dann drückt er einen blauen Knopf. Kameras laufen, Tausende Köpfe blicken in den grau-weißen Himmel, Menschen halten den Atem an und dann: BUMM! Mit einem lauten Rumms detonieren um 10.04 die Pfeiler, der Kern bleibt wenige Sekunden nackt stehen, dann explodiert auch er.

Der obere Teil des 116 (mit Fundament 127) Meter hohen und mehr als 50 000 Tonnen schweren AfE-Turms fällt gen Süden in Richtung des Marriott-Hotels, der kürzere Teil sackt nach Norden ab. Das Bauwerk beugt sich den 950 Kilogramm Sprengstoff. Unwirklich gehorsam klappt der Turm zusammen - genau wie geplant. Das Ganze dauert nur zehn Sekunden. "Sauber!", stößt Lankes aus und ist Sekunden später im jubelnden Pulk aus Männern mit Bauhelmen und Warnwesten verschwunden. Was er bei dem gewaltigen Rumms gedacht hat? "Es war einfach nur erlösend." Sein Funkgerät knackt, Reisch ist dran. Jetzt müssen die Männern die Messgeräte auswerten, um ausschließen zu können, dass an umliegenden Gebäuden und angrenzenden U-Bahn-Röhren Schäden entstanden sind.

Wie sich zwei Stunden später auf einer Pressekonferenz herausstellt, ist alles glatt gelaufen. Ach was, mehr als das. Frank Junker, Chef des Auftraggebers ABG, ist vollauf begeistert. "Ich habe höchsten Respekt vor der Leistung von Herrn Reisch", sagt er und fügt hinzu: "Besonders wenn man bedenkt, was in der vergangenen Woche noch über ihn in der Zeitung stand." Ja, es ist der Tag des Eduard Reisch. In einem roten Overall und schweren schlammverschmierten Schuhen sitzt der 52-Jährige da. Er ist bestens aufgelegt, spricht von einer "Bilderbuchsprengung." Er hat es allen gezeigt, die an seiner Professionalität und Kompetenz gezweifelt haben.

"Es gibt an der Sprengung heute nichts zu verbessern. Wir haben mit Polizei, Feuerwehr und THW an einem Strang gezogen. Alle prognostizierten Werte von Bewegungen im Erdreich wurden unterschritten. Die U-Bahnen sind bereits wieder in Betrieb." Die Straßen werden noch gereinigt und dann ebenfalls freigegeben.

Drei zersprungene Fensterscheiben - sonst alles in Ordnung

Was bleibt außer einer Menge Bauschutt, einer dicken Staubschicht, die sich auf Bäume und umliegende Gebäude gelegt hat und dem intensiven Geruch nach nassem Beton? Drei zersprungene Fensterscheiben. Eine davon am Marriott-Hotel sei einfach verglast und stamme aus den 70ern, beeilt sich der Hoteldirektor zu sagen. "Sogar die Bäume in der ersten Reihe um den Turm wurden nicht beschädigt. Der Turm hat sich vor ihnen verneigt ohne sie zu beschädigen", freut sich Reisch. In herzhaften Bairisch unterhält er die aus ganz Deutschland angereisten Pressevertreter, schwärmt vom "hervorragendem Wetter" und stellt eins klar: Mit Selbstzweifeln komme man in seinem Job nicht weiter, "wer die hat, soll besser Goldfische züchten oder sonstwas." Ilmi Viqa, Chef der Abbruch-Firma, prognostiziert, dass es etwa vier Monate dauern werde, bis die 50 000 Tonnen Bauschutt verschwunden sind. Solange werden die acht Meter hohen Erdwälle auf dem Grundstück bleiben, aus Lärmschutzgründen, so Viqa.

Sprengung Uni-Turm Frankfurt

Der gigantische Schutthaufen, fotografiert aus dem 33. Stock des Marriott-Hotels.

(Foto: dpa)

Klaus Gräber ist da schon längst wieder auf dem Heimweg. Der 69-Jährige gehörte mit einem Bekannten zu den ersten Schaulustigen, die sich morgens um 8 Uhr am AfE-Turm eingefunden hatten. Zuvor waren die beiden Männer 50 Kilometer mit dem Zug aus Gelnhausen angereist, ihre Fahrräder im Gepäck. Mit Funktionskleidung hatten sie sich gegen Kälte und Nässe gerüstet und sich auf die Suche nach den besten Plätzen gemacht, um das Spektakel genau verfolgen zu können. Bis 1969 studierte Gräber in Frankfurt Jura und fuhr nahezu täglich an der Baustelle des AfE-Turms vorbei. "Das war schon ein besonderes Bauwerk", sagt der pensionierte Jurist nachdenklich.

Auch Sonja und Peter verbinden viele Erinnerungen mit dem Beton-Bau. Darum sind die beiden Lehrer bereits am Samstagabend aus Mainz nach Frankfurt gereist, haben bei einem Mexikaner mit Blick auf den AfE-Turm zu Abend gegessen und noch ein paar Erinnerungsfotos gemacht. Anfang der Neunziger studierten beide im Hochhaus, besuchten die gleiche Vorlesung und wurden ein Paar; 2002 heirateten sie. "Ohne den Turm hätte ich Peter nicht kennengelernt", sagt Sonja und streicht ihrem Mann über den Arm. Dem ist soviel Sentimentalität etwas peinlich. Darum möchte er seinen Nachnamen lieber auch nicht im Internet lesen. Aber den Ausflug habe er seiner Frau nicht abschlagen können, nuschelt Peter noch. Dann machen sie sich auf den Heimweg nach Mainz.

Reisch wird derweil in der Pressekonferenz gefragt, was er demnächst sprengen möchte. "Ich möchte warten, bis alles in trockenen Tüchern ist", antwortet Reisch. Aber wenn Sie es sich aussuchen dürften? Reisch überlegt kurz, dann sagt er grinsend: "Hier im Bankenviertel in Frankfurt stehen einige Gebäude, die eine wirkliche Herausforderung wären."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: