Sprache:Das wird man wohl noch einsargen dürfen

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Klimakleber - das neue "Unwort des Jahres"? Am Dienstag wird die Entscheidung der Jury verkündet. (Foto: Eva Manhart/dpa)

Klimakleber, Klimachaoten oder doch etwas ganz anderes? Nach der Floskel des Jahres wird nun das Unwort des Jahres verkündet. Und wo etwas aus der Sprache verschwindet, entsteht Raum für Neues.

Von Marcel Laskus

Freiheit ist ein Begriff, gegen den niemand etwas ernsthaft einwenden kann. Frei sein möchte schließlich jede und jeder, und dass es auch anderen Menschen so geht, finden die meisten okay. Am 1. Januar änderte sich diese Übereinkunft insofern, dass sich zwei FDP-Politiker einmischten, um die Freiheit zu verteidigen, also das Wort. Zuvor war der Begriff zur "Floskel des Jahres" erklärt worden. Damit adressierte die Zwei-Mann-Initiative "Floskelwolke" jene Leute, die "selbstgerecht und unsolidarisch die essenziellen Werte eines Sozialstaates ins Gegenteil" verkehren. Justizminister Marco Buschmann und Verkehrsminister Volker Wissing äußerten sich erbost. Letzterer beendete seinen Tweet sogar mit einem Emoji, der eine Träne verdrückt. Freiheit bedeutet auch, Emotionen zeigen zu können.

Nun steht schon das nächste alljährliche Negativurteil zur Sprache bevor. Die Jury zum vermeintlichen "Unwort des Jahres" hat schon am Wochenende getagt, am Dienstag wird ihre Entscheidung verkündet. Constanze Spieß, Jury-Vorsitzende und Germanistikprofessorin an der Uni Marburg, berichtet am Telefon, dass die Klimaproteste bei vielen der mehr als 1400 Einreichungen ein Thema waren. Klimakleber, Klimaterroristen, Klimachaoten - das könnten Begriffe mit hohen Erfolgs- und Provokationsaussichten sein. Hassmails von Menschen, die mit der Entscheidung nicht einverstanden sind, seien sie bei der Unwort-Jury aber gewohnt.

Auch der Ukrainekrieg war bei den Einsendern 2022 natürlich ein Thema, und sogar ein Begriff, der nicht in Deutschland, sondern in Russland verwendet wurde: der von Wladimir Putin als "Spezialoperation" bezeichnete Krieg. Was es am Ende wird, das bleibt bis zur Bekanntgabe ein Geheimnis. Aufatmen dürfen aber schon jetzt Jens Spahn, Karl Lauterbach und Christine Lambrecht. Wie Constanze Spieß klarstellt, werden Politikernamen zwar sehr oft als Unwort-Kandidaten eingereicht, von der Jury aber nicht in die engere Auswahl genommen. Im letzten Jahr kamen von 1308 eingereichten Begriffen nur 20 Begriffe als "Unwort" infrage. Das lässt erahnen, wie repräsentativ so eine Kür ist.

Wie bei der "Floskel des Jahres", die nur von zwei Bloggern bestimmt wird, lässt sich auch beim Unwort kritisieren, dass die Wahl keinerlei Anspruch auf Objektivität verfolgt. Sechs Menschen, die den Geisteswissenschaften nahestehen, setzen sich an einem Wochenende zusammen und einigen sich nach ein paar Kaltgetränken auf eine Buchstabenkombination. Breiten Bevölkerungsteilen dürfte das egal sein. Aber ist es so eine Wahl deshalb auch?

Wem fällt schon noch das Sächsische Wort des zurückliegenden Jahres ein?

Fragt man Constanze Spieß dazu, erzählt sie gern von einem ihrer, nun ja, Lieblingsunwörter. Das Wort "Sozialtourismus" war bereits 2013 gekürt worden. 2022 erlebte es eine zombiehafte Wiederauferstehung, als CDU-Chef Friedrich Merz im Sommer es für ukrainische Geflüchtete benutzte, die hin- und herpendeln würden, um Sozialleistungen zu kassieren. "Recht schnell wurde thematisiert, dass das ein Unwort ist", sagt Spieß. "Da sehe ich: Unsere Aktion hat vielleicht etwas bewirkt." Merz entschuldigte sich.

Dort, wo Unwort-Wahlen dazu aufrufen, bestimmte Begriffe doch bitte einzusargen, entsteht, zumindest unter Laborbedingungen betrachtet, ein Silben-Vakuum. Gefüllt werden kann es mit etwas mehr Schweigen, was nicht das Schlechteste wäre. Oder, besser noch: Wo etwas aus der Sprache verschwindet, ist Raum für Wörter, die bisher im Schatten standen.

Wem fällt schon noch das sächsische Wort des zurückliegenden Jahres ein? Es war die "Därre", was so viel heißt wie Dürre oder Kälte. Wer könnte nachts um halb vier das plattdeutsche Wort 2022 aufsagen? Eben. Es war "Dunnerlüchting", ein Ausdruck des Erstaunens. Und was ist mit dem alljährlich gekürten oberfränkischen Wort? Es ist das Verb "waafn", was so viel bedeutet wie "schwatzen" oder "plaudern".

Seit Jahrzehnten werden diese Wörter gekürt, aber bundesweit verharren sie unter dem Wahrnehmungs- und Empörungsradar, weil sie nicht polarisierend, sondern nostalgisch sind. Von Volker Wissing und Marco Buschmann ist nicht zu erwarten, dass sie sich zu diesen Begriffen verhalten. Aber Claudia Roth, als Kulturstaatsministerin irgendwie auch zuständig für Sprache, könnte doch ruhig mal was Nettes sagen. "Dunnerlüchting! Lasst uns mehr über die Dialektwörter des Jahres waafn und nicht nur über diese ewige hochdeutsche Därre." So was zum Beispiel.

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