Sprache:Die Hölle ist doch überall

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Sieht so der Platz in der Hölle aus, wie ihn sich Donald Tusk für David Cameron und Boris Johnson wünscht? Illustration zur „Göttlichen Komödie“ (1860).

(Foto: imago/United Archives International)

Der EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, er wünsche denjenigen, die den Brexit vorangetrieben haben, einen "besonderen Platz in der Hölle". Damit liegt er eigentlich falsch.

Von Martin Zips

"Letzte Nacht war die Hölle, die buchstäbliche Hölle", fleht der junge Internatsschüler Prinz Charles in einem Brief an seine Mutter. "Die Leute in meinem Schlafsaal sind gemein. Sie werfen die ganze Nacht Hausschuhe oder Kissen auf mich." Wie gerne würde er die schottische Privatschule Gordonstoun endlich verlassen, schreibt er an die britische Königin. "Ich wünschte, ich könnte nach Hause kommen."

Schwer zu sagen, ob Boris Johnson und David Cameron während ihrer Internatszeit in Eton ebenfalls mit Hausschuhen oder Kissen beworfen wurden - oder vielmehr andere damit beworfen haben. EU-Ratspräsident Donald Tusk jedenfalls dürfte Johnson und Cameron schon gemeint haben, als er sich am Mittwoch für "diejenigen, die ohne auch nur die geringste Skizze eines Plans den Brexit vorangetrieben haben" einen "besonderen Platz in der Hölle" wünschte.

Guy Verhofstadt, Brexit-Beauftragter des Europaparlaments, setzte noch einen drauf: "Ich bezweifle, dass Luzifer sie willkommen heißen würde. Denn nach dem, was sie Großbritannien angetan haben, würden sie es wohl sogar schaffen, die Hölle zu spalten."

Juncker weniger katholisch

Der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wiederum erklärte: "Ich bin weniger katholisch als mein guter Freund Donald. Er glaubt fest an den Himmel und als Gegensatz dazu an die Hölle. Ich glaube an den Himmel und habe nie die Hölle gesehen - bis auf die Zeit, die ich hier arbeite. Das ist die Hölle."

Die Stimmung in den Verhandlungen mit London hat das alles nicht unbedingt verbessert. Immerhin glauben in England laut einer europäischen Studie von 2008 deutlich weniger Menschen an so einen Höllen-Ort des nicht enden wollenden Heulens und Zähneklapperns als zum Beispiel in Polen.

Da ist sie jedenfalls wieder, die Hölle, Hölle, Hölle. Völlig überraschend. Und diesmal, interessant, sogar ganz ohne katholische Kirche. Schon vor Jahren hatte diese in ihrem Glaubensbekenntnis den Terminus "Abgestiegen zu der Hölle" gestrichen und auch die "Limbus" genannte Vorhölle abgeschafft. Dank Tusk, Verhofstadt und Juncker aber hatte die Hölle nun Brüssel erreicht.

Die Hölle ist menschengemacht

Anruf bei Gisbert Greshake, 85, katholischer Theologe und Experte für Eschatologie, der Lehre von den letzten Dingen. Interessanterweise setzt Greshake bei der Frage nach der Hölle nicht etwa bei der Bibel an, sondern bei Jean-Paul Sartre: "Die Hölle, das sind die anderen." Was der Höllenforscher damit sagen möchte: "Hölle ist menschengemacht. Sie ist ein Akt unserer Freiheit." Mit dem Jenseits habe das erst einmal gar nichts zu tun.

Wenn also Prinz Charles die Hölle im schottischen Schlafsaal erlebt und Tusk, Verhofstadt und Juncker bei manchen Briten (und die Briten bei uns), so muss das zunächst einmal gar nicht erschrecken.

Das ist halt so, wie wenn die italienische Torhüter-Legende Gianluigi Buffon dem englischen Schiedsrichter Michael Oliver im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League 2018 kurz ein beherztes "Fahr zur Hölle!" entgegenruft. Ein - für den einen vielleicht etwas mehr, für den anderen etwas weniger angenehmer - Akt menschlicher Libertät. Kann natürlich Ärger geben, muss aber nicht. Vorsicht bleibt dennoch angebracht: Laut Papst Franziskus ist der Teufel "ein tollwütiger Hund". Angekettet in quasi jedem von uns.

Die Hölle bei den Inuit

Die ganz andere Frage freilich lautet, ob es auch diesen einen "besonderen Platz in der Hölle" gibt, wie ihn sich EU-Ratspräsident Tusk anscheinend für Boris Johnson und David Cameron wünscht. Einen schreckenserregenden Ort ewiger Sühne, wie von Hieronymus Bosch gemalt.

Theologe Greshake sagt: "Aus heutiger christlicher Sicht gibt es den eher nicht. Denn Gott ist die Liebe." Und die müsste auch für Brexit-Verplaner, Torhüter und Hausschuhwerfer im Internat gelten. Mindestens. Selbst, wenn der Gedanke daran den ein oder anderen schmerzt. Aber was weiß er schon, der Mensch? Die Inuit zum Beispiel ziehen eine klare Linie: Schlechte Jäger haben im Jenseits keine Chance. Selbst dann nicht, wenn sie zu Lebzeiten vortreffliche Menschen waren. Wer mit dem Pfeil nicht trifft, der landet selbst in der eiskalten Arktis noch im Danteschen Inferno.

Und ohnehin: Vielleicht sei genau das ja "überhaupt der einzig wahre Beweis für das Wirken des Teufels", lässt Umberto Eco in "Der Name der Rose" den Franziskanermönch William von Baskerville sagen: "Die Intensität, mit welcher alle Beteiligten in einem bestimmten Augenblick danach verlangen, ihn am Werk zu sehen."

Letztlich könnte es bei den Austrittsverhandlungen sogar auf eine Art Ablasshandel hinauslaufen. Hier ein paar (natürlich ausschließlich mit britischem Pfund finanzierte) Fürbitten, dort ein paar (selbstverständlich mit Euros gekaufte) Messen - so lässt sich Schlimmeres verhindern. Das hofft man zumindest.

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