Basejumping:Das Tal, in dem die Menschen vom Himmel fallen

BASE jumpers

Zyniker beschreiben das Lauterbrunnental in der Schweiz als "Tal, in dem die Menschen vom Himmel fallen". Dort verunglücken besonders viele Basejumper tödlich.

(Foto: Gaetan Bally / dpa)
  • Noch nie sind so viele Basejumper tödlich verunglückt wie in diesem Jahr.
  • Für einen coolen Sprung vor der Kamera nehmen auch erfahrene Basejumper enorme Risiken auf sich.
  • Vielen geht es neben Publikumsreichweite auch darum, Sponsoren anzuziehen.

Von Titus Arnu

Kurz vor seinem Flug in den Tod postete Uli Emanuele noch ein Selfie auf Facebook. "Bereit, einen neuen Sprung zu machen", schrieb der Base-Jumper um 7.39 Uhr am 17. August. Das Foto zeigt ihn mit Helm, zwei Go-Pro-Kameras und einsatzbereitem Wingsuit, der 30-Jährige sieht hochkonzentriert aus. Danach folgte kein Eintrag mehr im Album "Summer 2016".

Der Südtiroler Uli Emanuele stürzte noch am selben Tag bei einem Wingsuit-Flug im Lauterbrunnental in der Schweiz ab und kam ums Leben. Soweit die Polizei den Unfall nachvollziehen kann, geriet Emanuele nach dem Absprung in eine instabile Fluglage, prallte danach gegen eine Felswand und stürzte in die Tiefe. Die Rettungskräfte waren zwar schnell da, konnten aber nur noch den Tod des Sportlers feststellen.

Auf der "Base Fatality List", der seit 1981 geführten Todesliste der Wingsuit-Springer, ist Uli Emanuele die Nummer 300. Nummer 301 folgte noch am selben Tag, ebenfalls in Lauterbrunnen: Brian B., 49, britischer Finanzmanager, Hobbysportler und Vater von drei kleinen Kindern. B. rutschte laut Augenzeugen beim Absprungpunkt "High Ultimate" auf einer feuchten Felsplatte aus und prallte nach sieben Sekunden ungebremst auf dem Boden auf. Die Absprungpunkte heißen im Fachjargon "Exit Points". Immer öfter führen die Absprünge direkt in den Exitus: Dieses Jahr verunglückten weltweit bereits 31 Basejumper tödlich, allein 15 im August - so viele wie noch nie.

Das Tourismusgebiet Lauterbrunnental distanziert sich vom Basejumping

Die meisten Unglücke passieren bei Lauterbrunnen im Berner Oberland. "Das Tal, in dem die Menschen vom Himmel fallen", wie die Bahn-Kundenzeitschrift Mobil die Gegend mal auf zynische Art beschrieb, ist für die Sportart ideal: senkrecht abfallende, bis zu 900 Meter hohe Felswände, unten flache Wiesen zum Landen. Hunderte menschliche Flughörnchen absolvieren im Sommer ihre Sprünge von den dortigen Exit Points, die Namen wie "High Nose", "High Ultimate" und "La Mousse" tragen.

Bislang sind im Lauterbrunnental 47 tote Basejumper zu beklagen. Die Tourismusorganisation bewirbt den Sport nicht und distanziert sich davon. Schon seit zehn Jahren wird ein Verbot der riskanten Sprünge diskutiert, um Gästen und Einwohnern Lauterbrunnens die Konfrontation mit dem Tod aus heiterem Himmel zu ersparen. Ähnlich ist die Situation in Chamonix, wo es mehrere legale Absprungplätze für Basejumper gibt, unter anderem von der 3842 Meter hohen Aiguille du Midi.

Relativ gesehen nimmt die Zahl der Unfälle ab

Relativ gesehen nehmen die Unfälle jedoch ab. Im Lauterbrunnental kam es bisher im Schnitt zu vier bis fünf Todesfällen pro Jahr, allerdings steigt gleichzeitig die Zahl der Sprünge rasant an. Vor zehn Jahren waren es gemäß der Swiss Base Association, der Vereinigung der Schweizer Basejumper, noch 5000 bis 10 000 Sprünge pro Jahr allein im Lauterbrunnental, mittlerweile sind es etwa 20 000.

Auch eine Statistik der Unfallursachen wird mitgeliefert: Danach starben 71,5 Prozent aller tödlich verunglückten Basejumper bei Sprüngen von Felswänden, 12 Prozent der Opfer waren von Antennenmasten, zehn Prozent von Gebäuden gehüpft. Häufigste Todesursache war in 38 Prozent der Fälle, dass sich die Fallschirme nicht geöffnet hatten - und 30 Prozent der tödlich verunglückten Springer prallten gegen Felswände. Gut ein Drittel der Opfer trug Wingsuits.

Die hautengen Fluganzüge sind erst seit etwa zehn Jahren im Einsatz - sie kommen dem uralten Traum der Menschheit, aus eigener Kraft fliegen zu können, recht nahe. Mit Hilfe des Flügelanzugs können Sportler einige Sekunden lang frei durch die Luft gleiten, bevor sie den Fallschirm lösen, an dem sie dann zu Boden schweben. Soweit die Theorie.

Auch erfahrene Springer verunglücken tödlich

Bei einem Blick auf die Todesliste der Basejumper fällt auf, dass früher vor allem Anfänger verunglückten, mittlerweile erwischt es vermehrt auch erfahrene Springer - wie Uli Emanuel, der unter seinen Fans als Künstler der Szene galt. Im Frühjahr 2015 war er in der Schweiz durch einen zwei Meter breiten Felsspalt gezischt, mit 200 Stundenkilometern, zuvor war er schon durch einen brennenden Holzrahmen mit ähnlich kleinem Durchmesser geflogen.

Auch Dean Potter, der weit mehr als 1000 Sprünge erfolgreich absolviert hatte, verunglückte vergangenen Sommer tödlich. Der 43-jährige Amerikaner, der durch Flüge zusammen mit seinem Hund Whisper berühmt wurde, wollte zusammen mit seinem Kollegen Graham Hunt, 29, im Yosemite-Nationalpark zwischen zwei Felsen hindurchfliegen - doch sie verfehlten den Spalt und prallten gegen die Felswand.

"Das Brutale an dieser Sportart ist: Du kannst noch so fit und erfahren sein, es kann trotzdem immer etwas passieren", sagt der Schweizer Extrem-Bergsteiger und Basejumper Stephan Siegrist. Er kombiniert gerne alpinistische Spitzenleistungen mit Flugeinlagen, er kletterte als Erster ohne klettertechnische Hilfsmittel auf den "Mushroom", einen pilzförmigen Felsen in der Eiger Nordwand, und sprang von dort ab. Mittlerweile findet er es schockierend, wie viele seiner Kollegen tot sind - und hat deshalb gerade seinen Schirm verkauft, auch seiner Familie zuliebe.

Auf den Basejumpern lastet der Druck der Sponsoren

Die Risiken sind nicht von der Hand zu weisen. Bei den sogenannten "Proximity Flights" - also Flügen ganz nah an Wänden oder durch Felsspalten - kommt es auf Sekundenbruchteile an. Ein Windstoß, und die Flugbahn verändert sich um die entscheidenden Meter. Dazu kommt der Druck, der auf den Profis unter den Extremsportlern lastet, um Klicks auf Youtube zu generieren und die Sponsoren zufrieden zu stellen. Nehmen die Springer dafür ein höheres Risiko auf sich?

Wie es scheint, lassen sich manche Extremsportler bei laufender Kamera tatsächlich auf mehr Action ein. Der Südtiroler Armin S., 28, streamte seinen Sprung vom Alpschelehubel bei Kandersteg im Berner Oberland vor ein paar Tagen live auf Facebook. "Heute fliegt ihr mal mit. Aber ihr hört nur was. Ich steck euch ein. Ciao! Drei, zwei, eins", lauteten die letzten Worte des Meraners. Dann ertönt ein Luftzug, ein Schrei, Geräusche eines Aufpralls. Am Ende der Live-Übertragung: Stille, und ein paar Kuhglocken.

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