Wenn ein mutmaßlicher oder angeblicher oder vermeintlicher oder scheinbarer Spion mal länger untertaucht und erst wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerät, da er mausetot im Meer treibt, dann braucht es naturgemäß keinen Gerichtsmediziner, um festzustellen: Hier geht’s ja wohl nicht mit rechten Dingen zu. War der Agent bei einer gefährlichen Mission nicht vorsichtig genug? Oder ist er womöglich bei seinem Auftraggeber in Ungnade gefallen?
Und damit rauf nach Norwegen, rein in die Realität und raus aus der Spionagefilmfantasie. Das ganze Land trauert, denn Hvaldimir ist tot, der Spion, den sie liebten. Genauer: der mutmaßliche Spion, der angebliche, vielleicht auch der vermeintliche. Das war ja die Geschichte, die diesen weißen Wal berühmt gemacht hatte vor fünf Jahren: Da schwamm dieser Beluga auf einmal in norwegischen Gewässern vor der Küste des Nordkaps herum, umschnallt mit einem Gurt samt GoPro-Kamera und der Aufschrift: „Ausrüstung St. Petersburg“.
Die liebevolle Zuneigung der Norweger war dem Wal dennoch gewiss, er erkundete südlichere Regionen, schwamm bis nach Oslo, traf die damalige norwegische Premierministerin Erna Solberg am Rande des Hafenbeckens von Hammerfest und schien auch ohne Erinnerungsfotos glücklich zu sein (das Brustgeschirr hatte man ihm längst abgenommen). Nach einer Onlineabstimmung bekam er sogar einen eigenen Namen, Hvaldimir, was Sprachakrobaten aus dem norwegischen Wort für Wal (hval) und Putins Vornamen zusammengebastelt hatten.
Die norwegische Fischereidirektion spekulierte damals tatsächlich öffentlich, ob das Tier von der russischen Marine trainiert worden sein könnte. Und dann womöglich aus der Gefangenschaft entkam. Immerhin sind die Barentssee und das Europäische Nordmeer strategisch nicht ganz unwichtig für Russland.
Wie dem auch sei: Hvaldimir schwieg beharrlich zu den Vorwürfen und auch Moskau äußerte sich mit keinem Wort. Vielleicht stimmte ja auch, was ein Zeuge aus Russland von sich gab: Der Wal könnte aus einem Wassersportzentrum nahe Murmansk stammen, wo man ihn zur Therapie von Kindern mit psychischen Erkrankungen eingesetzt habe.
Es könnte sein, dass der Beluga mit einem Boot kollidiert ist
Das würde immerhin passen zum menschenfreundlichen, anhänglichen Wesen des Tieres: Hvaldimir ließ sich füttern, spielte mit Menschen, begleitete Boote. Und das hätte er vermutlich noch länger getan: Die natürliche Lebenserwartung der Tiere liegt laut WWF bei 35 Jahren, Hvaldimir soll etwa 15 gewesen sein. Am vergangenen Samstag allerdings entdeckten Menschen ihn in einem Hafenbecken in Westnorwegen, in der Nähe der Stadt Risavika. Auf dem Rücken liegend, trieb er leblos im Wasser. Ein Kran zog den Kadaver an Land.
Hvaldimir sei „ein wichtiges Tier für Norwegen“, sagte eine Wissenschaftlerin vom Institut für Meeresforschung später der Tageszeitung Verdens Gang. „Also müssen wir herausfinden, was passiert ist.“ Offensichtliche Verletzungen waren wohl nicht zu erkennen, dennoch könnte es sein, dass der Beluga mit einem Boot kollidiert ist. Eine Obduktion soll jetzt möglichst schnell Klarheit über die Todesursache bringen. Bevor die Spekulationen wieder ins Fantastische abdriften.
Karriere hat der angeblichmutmaßlichvermeintliche Spion namens Hvaldimir jedenfalls nicht gerade als erfolgreicher Geheimagent gemacht. Sondern eher als ein hervorragender Botschafter und Diplomat.