Spendenaufkommen in Deutschland:Das Geschäft mit dem Mitleid

File photo of tsunami survivors rushing for clothes and food donated by volunteer organisations in Cuddalore

Überlebende Kinder des Tsunamis von 2004 in der Stadt Madras.

(Foto: REUTERS)
  • Knapp fünf Milliarden Euro spendeten die Deutschen in 2013, für dieses Jahr prognostizieren Marktforscher eine Rekordsumme.
  • Doch sind alle Organisationen seriös? Wie viele von den Milliarden kommen wirklich bei den Hilfsbedürftigen an?
  • Etwa 250 Organisationen tragen ein Spendensiegel.
  • 600 000 gemeinnützige Organisationen und 20 000 Stiftungen gibt es in Deutschland.

Von Anne Kostrzewa

Vorweihnachtszeit in der Fußgängerzone. Beladen mit Einkaufstüten, schieben sich die Massen von einem Schaufenster zum nächsten. Und mittendrin: Infostände, Klingelbüchsen und mehr oder minder aufdringliche Promoter, die um Spenden werben. Das boomende Adventsgeschäft rentiert sich für Hilfsorganisationen. Kurz vor dem Fest sitzt das Geld locker, auch für den guten Zweck.

868 Millionen Euro spendeten die Deutschen 2013 allein im Dezember - ein Fünftel der insgesamt 4,7 Milliarden Euro, die im vergangenen Jahr hergegeben wurden. Das ergibt eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Die Nürnberger Marktforscher prognostizieren, dass das Spendenaufkommen im laufenden Jahr noch höher ausfallen und einen neuen Rekord erreichen könnte - und das obwohl beispielsweise das Deutsche Rote Kreuz (DRK) über einen Einbruch bei der Spendenbereitschaft klagt.

Wie viel von den Milliardenbeträgen tatsächlich ankommt bei hungernden Kindern, notleidenden Tieren oder von Naturkatastrophen Heimgesuchten, lässt sich aus der Statistik nicht ablesen. Für Vereine und Stiftungen gibt es keine bundesweite Aufsicht. Ob und wie weit sie ihre Bilanzen offenlegen, bleibt ihnen selbst überlassen. Das macht es für Spender schwierig zu erkennen, ob ein Verein seriös arbeitet.

So können Sie erkennen, ob Vereine und Stiftungen seriös arbeiten

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Gerade auf Bilder menschlichen Leids - hier kurdische Kinder auf der Flucht vor IS-Milizen - reagieren viele Deutsche mit großzügigen Spenden.

(Foto: Bulent Kilic/AFP)

Eine Orientierung bietet das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI), getragen unter anderem vom Bundesfamilienministerium und dem Deutschen Städtetag. Das DZI prüft gemeinnützige Organisationen und vergibt seit 1992 jährlich das DZI-Spendensiegel an jene, die transparent und aussagekräftig über Projekte und Bilanzen informieren und verantwortungsvoll mit Spendengeld umgehen. Dazu zählt, dass maximal 35 Prozent der Einnahmen in Werbung und Verwaltung fließen dürfen. Vor Vereinen, die entsprechende Nachweise verweigern, warnt das DZI auf seiner Homepage.

Fälle von Spendenmissbrauch gibt es immer wieder, kleine Fehltritte und auch große Delikte. Im April beispielsweise wurde ein Fall aus der Erzdiözese Bamberg bekannt: Ein Pfarrer hatte von Caritas-Geld Kerzenständer reparieren lassen, statt damit Bedürftigen zu helfen. Als das bei der Buchprüfung auffiel, musste er das Geld zurückerstatten. Im Jahr 2010 stand die Gründerin des Münchner Vereins "Kinder in Not" vor Gericht. Sie hatte über Jahre mehr als fünf Millionen Euro aus Spenden über Auslandskonten beiseite geschafft. Fallen Spender auf betrügerische Vereine herein, gebe es kaum eine Chance, das Geld zurückzubekommen, sagt Daniela Felser, Juristin und Geschäftsführerin des Deutschen Spendenrats.

So können sich Organisationen um das Spendensiegel bewerben

Um sich von derartigen Fällen klar zu distanzieren, bewerben sich viele Vereine jährlich um das DZI-Spendensiegel. Etwa 250 Organisationen dürfen es derzeit tragen, darunter das DRK, die Caritas und SOS-Kinderdörfer weltweit. Gemeinsam erbringen die 250 Siegel-Organisationen rund ein Viertel des gesamten jährlichen Spendenaufkommens.

600 000 gemeinnützige Organisationen und 20 000 Stiftungen gibt es in Deutschland. Dass vergleichsweise wenige das Gütesiegel tragen, liegt auch an den Modalitäten des DZI. Es konzentriert sich auf überregional sammelnde Organisationen, und bezahlen müssen diese die Prüfung selbst. Nicht alle wollen sich das leisten. Greenpeace etwa verzichtet auf das Gütesiegel. "Auch ohne DZI-Siegel arbeiten viele Organisationen seriös und verantwortungsvoll", sagt DZI-Geschäftsführer Burkhard Wilke. Entscheidend sei, wie transparent die Organisationen über ihre Arbeit informierten.

Spendenaufkommen in Deutschland: Credit: SZ-Grafik: Julia Kraus; Quelle: Deutscher Spendenrat e. V., GfK

Credit: SZ-Grafik: Julia Kraus; Quelle: Deutscher Spendenrat e. V., GfK

Die Siegel-Organisationen verpflichten sich, ihre Strukturen intern wirksam zu kontrollieren. Caritas International prüfe bei Projektanträgen zunächst, ob die geforderten Beträge plausibel erscheinen, erklärt Caritas-Mitarbeiter Volker Gerdesmeier. "Außerdem arbeiten wir mit langjährigen Projektpartnern in den jeweiligen Ländern zusammen, die sich in den regionalen Strukturen auskennen." Abrechnungen würden auch von externen Gutachtern kontrolliert. Darüber hinaus frage die Caritas häufig bei den Empfängern nach, ob alles wie vereinbart umgesetzt wurde.

Das DRK hat 2008 als eine der ersten deutschen Hilfsorganisationen einen Ombudsmann bestellt, an den sich Mitarbeiter wenden können, wenn sie Spendenmissbrauch vermuten. Die gesamte Buchführung laufe im Zentralbüro zusammen, sagt Sprecher Dieter Schütz. "Wir prüfen grundsätzlich jede Rechnung, ob über zwanzig oder zweihundert Euro." Hundertprozentig ausschließen könne man Spendenmissbrauch wohl nie, sagt Schütz. "Wir wollen das Risiko aber weitestgehend kontrollieren und minimieren."

Knapp ein Drittel aller Mitgliedsanträge wird pro Jahr abgelehnt

Projekte des DRK, die auch von Bundesministerien gefördert werden, kontrolliert zusätzlich das Bundesverwaltungsamt. Laut Bundesinnenministerium wird bei den Prüfungen der Vereine jedes Jahr "insbesondere auf die Buch-, Beleg- und Kassenführung" geschaut. Die Organisationen müssten nachweisen, dass sie die Richtlinien der Bundesregierung zur Korruptionsprävention einhalten.

Für SOS-Kinderdörfer weltweit stellen alle Häuser jährlich einen Budgetplan auf und begründen die einzelnen Posten, sagt Sprecher Louay Yassin. "Beantragen sie mehr Geld als im Vorjahr, schauen wir besonders genau hin." Halbjährlich werde geprüft, ob das Geld reicht oder ob Überschüsse bleiben. Dabei setze SOS-Kinderdörfer auch auf vertrauenswürdige regionale Partner in den jeweiligen Ländern.

Viele deutsche Hilfsorganisationen sind zudem Mitglied im Deutschen Spendenrat. Um dort aufgenommen zu werden, müssen sie nachweisen, dass sie Spendengeld sauber abrechnen. Knapp ein Drittel aller Mitgliedsanträge werde pro Jahr abgelehnt, sagt Geschäftsführerin Daniela Felser, weil die Organisationen den hohen Anforderungen nicht gerecht würden. Ein Dorn im Auge sind Felser vor allem die Spendensammler in den Fußgängerzonen. "Insbesondere, wenn Promoter im Gespräch drängen oder Druck aufbauen, sollte man skeptisch werden." Auch unnötig emotionale oder brutale Bilder seien unseriös. "Vertrauen Sie auf der Straße nur Organisationen, die Sie kennen und die sich auch entsprechend ausweisen können."

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