Fünf Tage nach den schweren Unwettern mit mindestens 217 Toten sind sie nun endlich da. Es hätte ein Bild der Einheit werden sollen, und eine Geste des Trostes. König Felipe, Königin Letizia, der sozialistische Premier Sánchez und der konservative Regionalpräsident Carlos Mazón versuchten am frühen Sonntagnachmittag den von der Flut besonders betroffenen Ort Paiporta bei Valencia zu besuchen.
Doch die Stimmung ist aufgeheizt. Menschen, die sich in den vergangenen Tagen völlig alleingelassen fühlten – ohne Trinkwasser, Lebensmittel und Strom – bewerfen die Regierenden mit Schlamm und Stöcken und rufen „Mörder“. König Felipe bleibt standhaft, unter einem Regenschirm. Er versucht, mit einigen der Bewohner zu sprechen. Sánchez und Mazón indes ergreifen die Flucht. Menschen treten mit Füßen und prügeln mit Regenschirmen auf das Fahrzeug des Ministerpräsidenten ein, berichtet der staatliche Fernsehsender RTVE.
Am Samstagmorgen waren es wieder mehr als 15.000 Bürgerinnen und Bürger, die sich im Kulturzentrum der Stadt Valencia versammelten, weil sie als Freiwillige in „la zona“ helfen wollten, im Katastrophengebiet. Sie warteten stundenlang auf einen Platz in einem der Busse, die sie in die verwüsteten Vororte jenseits des Flusses Túria brachten. Die Menschen hatten die Dinge längst selbst in die Hand genommen, während sich Politiker weiter gegenseitig die Schuld für schleppende Hilfe zuschoben.
Eva Corredor und ihre zwei Söhne hatten Schrubber, Besen und Eimer mit dabei. Viele der freiwilligen Helferinnen und Helfer hatten ihre Beine mit Plastikfolie und Klebeband umwickelt. In der Eingangshalle des Kulturzentrums bekamen sie zudem Plastikhandschuhe und Masken ausgehändigt. Dann bewegte sich die mehrere Hundert Meter lange Menschenschlange weiter zu den roten Stadtbussen, die dorthin fuhren, wo Bürgermeister um Hilfe baten.
Tatsächlich ist diese Flexibilität genau das, was den Menschen im Flutgebiet am meisten nutzt: unkomplizierte Hilfe – und das sofort. Aber wo war die Politik? Selbst Tage nach der Katastrophe war von den vollmundig angekündigten Militäreinheiten und professionellen Hilfsmannschaften in den verwüsteten Vororten Valencias nicht viel zu sehen.
In der Gemeinde Benetússer südlich von Valencia wurde eine Frau lebend aus einem Auto geborgen, berichtete die Zeitung Las Provincias. Drei Tage lang soll sie dort neben der Leiche ihrer Schwägerin ausgeharrt haben. Im noch immer unter Wasser stehenden Parkhaus eines Einkaufszentrums mit eintausend Standplätzen neben Valencias Flughafen befürchten die Rettungskräfte weitere Leichen.
In Picanya, wo sich noch immer Autowracks und Schrott türmen und Häuser teils komplett von der Flut mitgerissen wurden, schrubbten am Wochenende wieder Tausende freiwillige Helfer den Dreck aus den Gebäuden, schenkten Trinkwasser aus und brachten Essen. Sogar die Baggerfahrer, die das auf den verschlammten Straßen herumliegende Treibgut und die aus den Häusern geräumten Möbel hinunter ins Flussbett kippten, waren und sind fast alle Freiwillige.
5000 Soldaten werde er nach Valencia entsenden, hatte Spaniens Premier Pedro Sánchez versprochen. Einen nationalen Notstand rief er jedoch nicht aus – trotz der vielen Todesopfer und trotz der Tatsache, dass noch immer Leichen gesucht werden. Sánchez räumte „schwerwiegende Fehler“ zwar ein, bat aber zugleich darum, sich zu diesem Zeitpunkt nicht darauf zu konzentrieren. „Das Einzige, was uns jetzt beschäftigen sollte, ist die Notlage“, sagte er. „Es wird noch Zeit geben, die Nachlässigkeiten zu analysieren und darüber nachzudenken, wie Kompetenzen verbessert werden können.“ So äußerte er sich gegenüber Journalisten. Fragen ließ er nicht zu.
Tatsächlich waren auf der an diesem Wochenende wieder geöffneten Autobahn zwischen Madrid und Valencia viele Busse mit Menschen in leuchtfarbenen Westen sowie Einsatzwägen des Katastrophenschutzes und Militärlaster mit schwerem Gerät zu sehen. Mehr als 3600 Soldaten seien mittlerweile in den zerstörten Gebieten aktiv, ließ die Regierung zuletzt wissen.
Er verstehe den sozialen Zorn, meinte Valencias Regionalpräsident Carlos Mazón auf dem Nachrichtendienst X. Es sei seine Verpflichtung, damit umzugehen. Die Haltung des Königs, der anders als die Vertreter der Exekutive darauf bestand, mit den Menschen zu sprechen, sei vorbildlich gewesen.
Am Abend äußerte Felipe VI. Verständnis für die Reaktionen. „Man muss die Wut und die Enttäuschung vieler Menschen darüber verstehen, was ihnen Schlimmes widerfahren ist, weil es schwer zu verstehen ist, wie die Mechanismen funktionieren und es die Erwartung gibt, dass man sich um die Notlage kümmert“, sagte er nach Angaben der Agentur Europa Press.
Königin Letizia zeigte ebenfalls Einfühlungsvermögen: „Natürlich empfinden sie das so. Natürlich sind sie wütend“, sagte sie dem Fernsehsender ABC. Felipe fügte nach dem Besuch im Katastrophengebiet hinzu, der Staat müsse als Ganzes präsent seien. Zur Hilfe für die Betroffenen meinte er: „Jeden Tag läuft es besser, so wie ich es verstehe. Das ist nicht spekulativ. Ich glaube, dass immer mehr Mittel zur Verfügung stehen und die Wirksamkeit sich ebenso erhöht.“
Zudem dankte der König den Soldaten für ihren Einsatz im Katastrophengebiet „stellvertretend für alle Spanier“. Schlamm bekam er dennoch ab.