Süddeutsche Zeitung

Sturmtief "Filomena":Das große Schlittern

Die Bilanz nach dem heftigen Wintereinbruch in Spanien: Mehr als 2000 Menschen kamen allein in Madrid mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus.

Von Karin Janker, Madrid

Oberschenkel, Handgelenke, Ellbogen, Schultern - mehr als 2000 Patienten mit Knochenbrüchen hatten die Ärzte in Madrids Krankenhäusern binnen zwei Tagen zu versorgen. Ihnen war das Glatteis auf Straßen und Bürgersteigen zum Verhängnis geworden. Jenes Eis, in das sich die Schneemassen verwandelt haben, die das Sturmtief Filomena am Wochenende über Spanien gebracht hatte.

Denn nachdem es am Samstagabend zu schneien aufgehört hatte, folgte am Sonntag Tauwetter. Nachts aber kühlte es auf Temperaturen weit unter dem Nullpunkt ab. "Das hier ist noch nicht vorbei", hatte Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska am Montag gesagt, und er sollte recht behalten. Auch der staatliche Wetterdienst warnte: "Der schlimmere Feind ist das Eis."

Auch weil auf vielen Straßen in und um Madrid noch immer Schnee liegt. Und auf Bürgersteigen sowieso. Die rund 60 Räumfahrzeuge der Stadt waren zunächst damit beschäftigt, die Hauptverkehrsader wieder passierbar zu machen. Laut der Nachrichtenagentur EFE machten in den vergangenen Tagen Knochenbrüche rund die Hälfte der Notfälle in Madrids Kliniken aus. Krankenhäuser wie das Hospital Rey Juan Carlos in der Vorstadt Móstoles mussten ihr orthopädisches Personal zu Wochenbeginn verdreifachen, wie die Zeitung El Mundo berichtete.

Die Bilanz nach dem Wetterextrem, das wohl auf eine besondere Wetterlage mit einer Umkehrung der normalen Strömungsverhältnisse in Europa zurückzuführen ist, fällt verheerend aus. Allein in Madrid schätzt die Stadtverwaltung die Schäden an öffentlichen und privaten Gebäuden auf etwa 20 Millionen Euro.

"Katastrophe in Zeitlupentempo"

Weil sich in vielen Seitenstraßen nach wie vor der Schnee türmt, könne es auch noch einige Tage dauern, bis die Müllabfuhr wieder funktioniert, so Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida. Schulen bleiben in den betroffenen Regionen Zentralspaniens die ganze Woche über geschlossen. In Madrid ist außerdem der Zugang zu Parks und Grünflächen untersagt, weil Äste herabzustürzen drohen. Die zuständige Behörde vermutet, dass 150 000 der insgesamt 800 000 Bäume der Stadt Schaden genommen haben.

Dem Sturmtief fielen insgesamt sechs Menschen zum Opfer. In Barcelona starben zwei Männer aus Marokko, die auf der Straße gelebt hatten, wie die Zeitung La Vanguardia berichtete. Bereits am Sonntag war in Madrid ein obdachloser Mann tot auf einer Bank gefunden worden. In den Tagen zuvor waren durch die Schnee- und Wassermassen drei weitere Menschen ums Leben gekommen.

Während der Madrider Flughafen Barajas langsam seinen Betrieb wieder aufnimmt, berichten spanische Zeitungen von Hunderten Reisenden, die die vergangenen Tage auf dem Marmorboden der Terminals verbrachten. Nicht nur der Flugverkehr, auch der öffentliche Nahverkehr war durch das Wetter zusammengebrochen, einzig die U-Bahn fuhr in Madrid zu Wochenbeginn - und war entsprechend voll.

Auf Twitter kursierten Videos von Waggons, in denen sich die Menschen dicht an dicht drängten, Abstandhalten war hier unmöglich. Nutzer vermuteten, dass die indirekten Folgen von Filomena sich bald in der Zahl der Corona-Neuinfektionen niederschlagen könnten. Die Zeitung El País fand insofern treffende Worte, als sie angesichts des Sturmtiefs von einer "Katastrophe in Zeitlupentempo" schrieb.

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